Aus Forschung wird Gesundheit

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BIH_Podcast_10_Kann eine App bei Intimproblemen helfen?

Interviewpartner: Dr. Titus Brinker, Deutsches Krebsforschungszentrum

Interviewpartner:

Seltmann: Herzlich willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann, ich bin Pressesprecherin im BIH.

Seltmann: Heute bin ich zu Gast auf dem Future Medicine Kongress, den das BIH gemeinsam mit dem Tagesspiegel veranstaltet und Dr. Titus Brinker vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat gerade seine beiden Apps „Intimarzt“ und AppDoc“ vorgestellt. Herr Brinker, wie kamen Sie auf die Idee, eine App namens „Intimarzt“ zu entwickeln?

Brinker: Über einen Patienten, der viel zu spät gekommen ist, weil er sich für sein intimes Problem geschämt hat, in einem dörflichen Setting lebte, wo sowieso kein Hautarzt war, und zum Hausarzt wollte er nicht gehen, weil er dachte, keine Ahnung, also ist nicht ausreichend kompetent, und dann kannte er das ganze Umfeld von ihm. Und ihm war das eben nicht genehm, das vorzuzeigen, weil halt eben dieses Dorf …

Seltmann: Was war das denn für ein Problem?

Brinker: Das war ein Hautkrebs am Penis. Genau, weißer Hautkrebs, der aber leider verdrängt gewachsen ist und der dann dazu geführt hat, dass wir in der Tat einen großen Teil vom Penis amputieren mussten, was auch wirklich … also das werde ich nicht vergessen, weil das extrem geblutet hat. Und der Patient ist danach psychisch wirklich … Also ich meine, ich erlebe, dass viele sich da irgendwie drüber lustig machen wollen. Für mich ist es ein extrem ernstes Thema gewesen damals. Und ich wollte einfach über so eine Smartphone-App diese Barrieren reduzieren, dass schneller der fachärztliche Blick erfolgt, der quasi einschätzen kann, ist es notwendig, damit zum Arzt zu gehen oder nicht. Weil viele tun es ja ab. Es gibt ja auch harmlose Warzen, Pickel usw., wo man ja gar nicht mit vorstellig werden muss. Und das ist ja auch fein, wenn es dann sowas ist. Aber man sollte halt einfach diesen frühen fachärztlichen Blick haben oder zur Verfügung haben können, um solche Tragödien zu vermeiden.

Seltmann: Und dabei hilft jetzt diese App?

Brinker: Absolut, die hilft dabei voll und ganz. Wir haben mittlerweile über 800 Patienten damit versorgt. Ich war auch erstaunt, wie gut das angenommen wurde. Ich war …

Seltmann: Wie funktioniert die denn? Erklären Sie vielleicht gerade mal, wie sie funktioniert.

Brinker: Genau. Also man macht sich untenrum frei, sorgt für gute Belichtungsverhältnisse zum Beispiel im Bad oder so und macht dann mit seinem Handy eine Übersichtsaufnahme, zwei Nahaufnahmen aus unterschiedlichen Blickwinkeln, beantwortet Fragen zu dem Problem, wo es lokalisiert ist, wie lange man das schon hat, was man schon draufgeschmiert hat. Viele waren schon bei Dr. Google unterwegs und haben irgendwas draufgemacht, was nicht geholfen hat, und schickt das dann ab an einen Facharzt mit mindestens 20 Jahren Praxiserfahrung, der dann die individuelle Diagnose stellt und über die hohe klinische Erfahrung eben in der Lage ist, sehr, sehr präzise zu diagnostizieren. Und da wirklich in der Dermatologie über 80 Prozent der Therapeutika frei verkäuflich sind in der Apotheke, können wir in den aller, allermeisten Fällen weiterhelfen. Etwa 70 Prozent der Patienten müssen nicht mehr zum Arzt. In über 90 Prozent der Fälle können wir eine Diagnose stellen. Wir haben eine externe wissenschaftliche Evaluation laufen, eine Qualitätssicherung laufen, die quasi eben zeigt, es wird gut angenommen a), aber b) meistens eben auch in der Lage, eine Diagnose zu treffen. Wobei man halt sagen muss, das ist ein interaktiver Prozess, die Diagnosestellung. Wenn ein Patient zum Beispiel schlechte Fotos einschickt oder Informationen nicht richtig angibt, hat der Arzt die Möglichkeit, in einem anonymen Datenraum nachzufragen.

Seltmann: Das heißt, man schickt seine Daten anonymisiert ein? Wie funktioniert das?

Brinker: Genau. Ja, das nennt das Datenschutzrecht in der EU DSGVO Mandantentrennung. Also wir haben quasi die Trennung von der Zahlung, die vollständig entkoppelt ist. Der Zahlungsanbieter weiß nicht, wofür der Patient da bezahlt. Wir haben einen Auftragsdatenverarbeitungsvertrag mit dem geschlossen, dass er uns auch nicht sagen dürfte, wenn wir anfragen würden, und er auch nicht von uns andersrum erfährt, wer dieser Patient ist oder also die Falldaten damit … Also wir wissen ja auch nicht, wer der ist. Und so haben wir quasi die Möglichkeit, vollständig anonym, also weder für uns identifizierbar noch für den Zahlungsanbieter identifizierbar, die Patienten zu behandeln.

Seltmann: Das heißt aber doch, der Patient schickt seine Daten von seinem eigenen Smartphone an den Facharzt. Und das kann nicht entschlüsselt werden? Wie schickt er die denn?

Brinker: Der schickt die über eine verschlüsselte TLS-Verbindung, also Transport Layer Security Protokoll, was wir auch stetig updaten, end-zu-end-verschlüsselt, und hat dadurch eben einen sehr, sehr hohen Sicherheitslevel da schon. Schadensbegrenzung geht vor allem über Datenminimierung. Und ich beobachte mit Erstaunen, dass die allermeisten Anbieter das eben gar nicht tun, sondern Geburtsdatum, Namen, alles abfragen, sodass der Patient wirklich eindeutig identifizierbar ist. Wir hatten extrem strenge Auflagen. Wir waren ein Jahr im Zulassungsverfahren bei der Ärztekammer, hatten extrem hohe Hürden auch überhaupt, das an den Markt zu bringen. Es sind die ersten bundesweit zugelassenen Teledermatologie-Apps „App Doc“ und „Intimarzt“, die es überhaupt gibt. Und dass der Bedarf da ist oder dass es Patienten hilft, sieht man an der hohen Nutzung.

Seltmann: … das heißt, man gibt nicht seinen Namen an?

Brinker: Nein, genau. Und man muss auch nicht seine E-Mail-Adresse angeben. Wenn man seine E-Mail-Adresse angeben möchte, wird man darauf hingewiesen, dass man tunlichst Superman2006@gmail statt Titus.Brinker04081990@brinker.de nehmen sollte. Also auch das ist verschlüsselt.

Seltmann: Und Sie haben gesprochen von Krebserkrankungen, die natürlich wahrscheinlich am dramatischsten sind. Aber es kommt ja vielleicht auch zu sexuell übertragbaren Erkrankungen. Oder welche Krankheiten sind denn da sozusagen abgedeckt?

Brinker: Wir haben ein sehr, sehr breites Spektrum. Das war wirklich interessant. Ich habe gar nicht erwartet, ich bin ja auch noch relativ jung dabei, ich bin jetzt zweieinhalb Jahre Assistenzarzt, habe …

Seltmann: Sie selbst könnten das gar nicht diagnostizieren, Sie dürften nicht?

Brinker: Ich darf nicht und will auch nicht, weil in der Tat, das ist so … Also zum Beispiel Pilzbefall. Da würde man ja sagen, da brauche ich immer eine Kultur. Nein, brauche ich nicht. Es gibt Pilze, die ein sehr wiedererkennbares Muster, Befallsmuster haben, auch somatisch sehr typisch sind. Und genauso ist es mit vielen sexuell übertragbaren Erkrankungen. Wenn ich ein Kliniker bin, der 20 Jahre über 10.000 verschiedene Penisse mit unterschiedlichen Erkrankungen gesehen habe, bin ich im Prinzip ein sehr, sehr guter Deep Learning Algorithm, der quasi das sehr, sehr genau erkennt und auch sehr, sehr gut helfen kann. Also wir hatten schon über 60 verschiedene Diagnosen, die da abgefragt wurden. Und das reicht von Peniszysten über Autoimmunkrankheiten über Pilzerkrankungen, Viruserkrankungen, Muttermale, natürlich Basaliome, weißer Hautkrebs, Plattenepitelkarzinome. Ein Melanom am Penisstamm war bisher der heftigste Fall, den wir hatten. Das ist wirklich sehr, sehr ernst, weil das metastasiert ganz, ganz schnell. Den haben wir sofort zum Arzt geschickt. Genau. Es ist ein super Triage-Tool.

Seltmann: Aber Sie sprechen jetzt schon an: Learning Algorithms, also künstliche Intelligenz. Ist das denn vielleicht auch absehbar, dass das sagen wir mal in ein, zwei Jahren oder vielleicht auch in fünf Jahren gar nicht mehr notwendig ist, diese Pictures tatsächlich an den Facharzt zu schicken, sondern dass die App oder das dahinterliegende Programm einem direkt die Diagnose stellt?

Brinker: Das wäre die attraktivste Lösung für den Patienten. Und das ist auch etwas, wo wir dran arbeiten. Also die großen Erfolgsmeldungen, wenn man die versucht, in die Realität, in die Klinik dann tatsächlich auch zu bringen, in die Anwendung zu bringen, funktionieren oft nicht, weil zum Beispiel jede Smartphonekamera individuell ist, einen bestimmen Aufnahmemodus hat, und auch die Distanzen natürlich nicht exakt eingehalten werden können, auch die Belichtungsverhältnisse in dem Raum, wo ich die Fotos mache, anders sind. Und das Deep Learning, wenn ich zum Beispiel ein Melanom füttere und das hat bestimmte Belichtungsverhältnisse in einem Raum, würde ein Arzt nie sagen, es ist ein Melanom, wenn das irgendwie ein Leberfleck oder was anderes ist. Aber wenn es exakt die Belichtungsverhältnisse sind, ist es dann für die KI dann doch eindeutig ein Melanom. Und der Patient kriegt das dann freitagabends aufs Handy, alle Ärzte haben zu. Das wird natürlich ein menschlicher Arzt auch nicht tun. Also die Menschlichkeit fehlt da. Ich denke, eine Lösung wird am Ende sein, dass man den Algorithmus auf dieser App mit seinem eigenen Smartphone kalibrieren muss an seiner eigenen Haut, die ja auch noch mal individuell ist. Und zum Beispiel so könnte ich mir das vorstellen, da habe ich gestern mit einem Kollegen drüber diskutiert, wie die Zukunft aussehen könnte: Man macht ein Bild von einem Muttermal, was man für normal hält, kalibriert damit, gibt das als Muttermal an. Das hat man schon ewig, seit der Geburt, schon zehn Jahre, es hat sich nicht verändert, alles gut. Und dann das, was man verdächtig findet. Und hat dann über Transfer Learning quasi eine Kalibration von der eigenen Smartphonekamera. Aber das funktioniert heute noch absolut nicht. Und Transfer Learning ist ein Bereich, der extrem wichtig wäre, um etwas in die klinische Anwendung zu bringen, der aber leider nicht ausreichend beforscht wird, weil es für sowas kein Geld gibt im Moment. Das merken Sie ja selber: Hypi, Hypi, Hypi, wir outperformen hier die ganzen Ärzte und wir sind besser als die Ärzte. Nein. Best in Class werden auf absehbarer Zeit leider die Ärzte bleiben, weil die Entscheidungen halt doch komplexer sind, als man denkt. Und selbst bei Mustererkennung, was ich sehr, sehr viel mache und wo auch mein eigener Forschungsfokus drauf ist, ist es so, dass ich den Tasteindruck brauche oder auch den bewegten Eindruck, Sensor in Motion Technologie, da geht es weiter. Das ist auch noch nicht richtig ausgereift und entwickelt. Und dann letztlich muss auch jemand am Ende die Verantwortung übernehmen. Genau.

Seltmann: Sie haben gesagt, Sie haben das durch die Ärztekammer gebracht, das heißt, es muss ja auch irgendwie zugelassen werden.

Brinker: Ein Jahr.

Seltmann: Das war ein Jahr Arbeit? Was genau war das, was haben Sie da gemacht?

Brinker: Von A bis Z war das, also es war wirklich auf den Kopf gestellt, die ganze App. Also ich hatte die Idee sehr, sehr früh. Ich war in Essen erst Arzt, hatte da diesen Patienten und wollte es unbedingt machen und habe früh mit meinem Chef, der mich damals eingestellt hat am NCT, da habe ich natürlich das erzählt. Und so: „Also Titus, ganz ehrlich, das ist eine Superidee, aber wenn du das machen willst, das DKFZ wird nie dafür haften, nie im Leben. Und auch keine großen Institutionen, kein großes Unternehmen würde das tun. Entweder du gründest eine GmbH, oder du kannst diese Idee nie niemals umsetzen.“ Also gewinnbringend ist das leider nicht. Dafür habe ich es aber auch nicht gemacht. Es ging damals aus einer tieferen inneren Motivation heraus. Und wenn man sowas an einer Institution umsetzen will, muss man die Haftung auslagern. Und das habe ich quasi über meine GmbH dann gelöst und war auch gut so. Wir hatten mehrere Hackerangriffe in den letzten Monaten, die ich halt auch gesehen habe, die mich auch erschreckt haben. So von Sonntag auf Montag zwischen ein Uhr und vier Uhr haben dann irgendwie 10.000 Versuche, die Fall-ID zu erraten, stattgefunden. Solche Sache, an die ich von Anfang gedacht habe zum Glück. Datenschutz war ganz, ganz wichtig, war mir auch von Anfang an wichtig, weil ich wusste, ich verliere sofort meinen Job, meine Universitätskarriere ist beendet, und ich kann wahrscheinlich keine Patienten mehr sehen, wenn einmal sowas passiert. Und wenn so Institutionen sowas unterstützen, wollen die sich halt auch sicher sein. Und deswegen dieses lange Prüfungsverfahren, was mich damals in meinem Ehrgeiz, das zu entwickeln, doch im ersten Moment genervt hat. Das gebe ich zu. Aber letztlich, man wird ja auch erwachsener, muss ich sagen, dass ich zwar denke, man könnte das beschleunigen, man könnte dieses Prüfungsverfahren schneller abwickeln und mit weniger Schleifen, aber ein Prüfungsverfahren sollte es für sowas auf jeden Fall geben. Und dann ist es, denke ich, verantwortungsvoll, sowas auch zuzulassen, weil es ja wirklich Patienten gibt, denen es sehr hilft.

Seltmann: Jetzt kommen wir mal auf die App. Die gibt es also zum Download in den verschiedenen Appstores. Und sie kostet Geld?

Brinker: Ja, die App selber nicht, aber die Behandlung halt schon. Was halt auch eben gut ist. 24,95, das ist eine gute Hürde eben auch für Spaßvögel. Wir hatten am Anfang auch irgendwie Anfragen: Herr Professor, mein Schwengel juckt. Ja, tun Sie was.

Seltmann: Also intimarzt.de heißt die App?

Brinker: Intimarzt heißt die App, gibt es für Android und iOS. Und auf intimarzt.de kann man es dann übers Web machen. Wie wollen niemanden ausschließen. Auch Leute mit einer Digitalkamera können diese App benutzen, die auch gar kein Handy haben. … Also wir haben Patienten, die sind 96, 97 Jahre alt. Also unser ältester Patient, wir haben jetzt diese externe Evaluation, war irgendwie 97. Also selbst die benutzen das und sind halt auch wirklich da total engagiert dabei. Weil alte Menschen, die jetzt zum Beispiel sich nicht so gut bewegen können, ja von sowas profitieren. Auch zum Beispiel Wundmanagement, sowas in der Richtung. Und wir haben halt wissenschaftlich das evaluieren können, Also wie funktioniert sowas in der Breite? Was wird eingesandt? Wie oft kann ein Arzt da sicher Diagnosen stellen usw.? Also diese ganzen Sachen, die sind ja unheimlich wichtig auch für die Forschung und für die Versorgung und haben einen hohen Praxisbezug.

Seltmann: Wie viele Ärzte stecken denn dahinter? Es sind ja die Fachärzte gefragt, die dann diese Diagnosen stellen.: Wie viele stecken dahinter und war es schwierig, die von diesem Konzept zu überzeugen?

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Brinker: Also in der Tat war das gar nicht so einfach, Ärzte zu finden, die das machen wollen. Ich habe relativ viel Glück gehabt, dass ich eben an der Universitätshautklinik selber auch tätig bin. Ich habe meinen Klinikdirektor damals gefragt, wen er empfehlen kann, und wir haben nur insgesamt drei Ärzte verpflichtet, weil bei uns im Vordergrund stand Qualität, nicht Quantität und auch nicht, das irgendwie möglichst billig zu machen, sondern sicher zu sein, dass da Leute dahinter sitzen, die das eben vernünftig machen. Da muss man mal gucken, wie sich das entwickelt. Ich bin mal gespannt.

Seltmann: Ja, da sind wir in der Tat auch gespannt und wir drücken natürlich die Daumen. Die Apps „Intimarzt“ und „AppDoc“ kann man sich kostenlos auf sein Smartphone laden, die Beurteilung eines eingesandten Fotos durch den Arzt kostet 25 Euro.

Seltmann: Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health. Dr. Titus Brinker erklärte, wie er auf die Idee kam, eine App namens „Intimarzt“ zu entwickeln. Falls auch Sie eine Frage zu Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an podcast@bihealth.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal sagt Stefanie Seltmann.

Seltmann: