Aus Forschung wird Gesundheit

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BIH_Podcast_17_Die Pandemie ist da. Was nun, Herr Drosten?

Interviewpartner: BIH Professor Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité, Koordinator im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung DZIF

Seltmann: Herzlich willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann.

Seltmann: Heute bin ich zu Gast im Institut für Virologie der Charité bei BIH-Professor Christian Drosten, dem Direktor des Instituts, und ich möchte wissen, wie dramatisch er die aktuelle Lage einschätzt. Schon vor ein paar Wochen war ich hier, da war gerade ein neues Corona-Virus in China aufgetaucht. Einige hundert Menschen waren betroffen. Heute nun stellt sich die Situation neu dar. Aus der Epidemie in China ist eine weltweite Pandemie geworden. Auch in Deutschland ist das Virus angekommen. Herr Prof. Drosten, Sie gelten als der Experte auf diesem Gebiet. Wie ist es Ihnen in den letzten Wochen ergangen? Ich könnte mir vorstellen, die waren ziemlich turbulent.

Drosten: Ja, also ich bin sicherlich nicht der Experte. Es gibt viele Experten auch in Deutschland. Ich bin sicherlich einer von denen, die mehr in die Öffentlichkeit gehen und trotzdem auch wirklich mit diesem Virus arbeiten. Also es gibt da eine geringe Schnittmenge im Moment leider. Es ist so, dass wir jetzt im Prinzip von einer Pandemie sprechen können und das aber noch nicht tun offiziell, im offiziellen Sprachgebrauch. Also ich mache das schon, und viele andere Wissenschaftler machen das auch. Vertreter von Gesundheitsbehörden machen das noch nicht. Auch die WHO macht das noch nicht. Da sind zum Teil Kommunikationsstrategien dabei. Man hat das Gefühl, wenn man jetzt eine Pandemie erklärt, dann geben viele Leute auf, also geben auch Behörden auf, das Ganze an der Ausbreitung zu hindern. Und deswegen ist man da noch relativ zögerlich. Außerdem ist es auch ein diplomatisches Problem. Also es gibt einfach Bedenken, dass einige Länder dann das Gefühl haben, ihre durchaus sehr erfolgreichen Bemühungen werden nicht gewertschätzt usw., was natürlich alles gar nicht stimmt.

Seltmann: Sie haben mit Ihrem Labor gleich zu Beginn der Epidemie einen Test auf das Corona-Virus entwickelt, der jetzt weltweit im Einsatz ist. Wie funktioniert der? Wie leicht ist er anzuwenden?

Drosten: Das ist eine Polymerase-Kettenreaktion, also ein Standard-Labortestverfahren, das es in Laboren überall gibt. Gut, man braucht dafür ein Labor. Unser Traum wäre natürlich, irgendwann so eine Art Schwangerschaftstest zu haben. Das wird aber noch etwas dauern. Ich habe aus China schon erste Meldungen in diese Richtung gehört. Das ist aber alles nicht so richtig verifiziert. Das Problem bei dieser Sache ist, man braucht sehr gute monoklonale Antikörper. Und die zu machen, dauert einfach seine Zeit. Aber dann hoffe ich, dass wir auch irgendwann ein sogenanntes Lateral Diffusion Device bekommen, also so eine Art wirklichen Schnelltest dann. Der sollte bei dieser Erkrankung gut funktionieren, denn wir sehen, dass die Patienten auch in der Frühphase der Erkrankung sehr viel Virus im Rachen haben. Und das ist eigentlich die Grundvoraussetzung dafür, dass solche Testverfahren funktionieren. Das ist auch der Grund, warum das bei der Influenza vor allem bei Kindern funktioniert, aber bei Erwachsenen nicht so gut mit diesen Schnelltesten, denn bei der Influenza haben die Kinder viel mehr Virus als die Erwachsenen. Und das ist bei diesem Virus jetzt sicher nicht der Fall. Hier sieht es so aus, als hätten alle sehr viel Virus. Und das würde man für einen neuen Erreger im Menschen, gegen den es keine Bevölkerungsimmunität gibt, ja auch so erwarten.

Seltmann: Es gibt die Beobachtung, dass Männer, je älter sie sind, eher erkranken als zum Beispiel Kinder oder Schwangere. Gibt es dafür eine Erklärung?

Drosten: Die Zahlen, die wir im Moment haben, kommen vor allem aus China, da sind ja die meisten Patienten behandelt und leider auch verstorben. Es ist so, dass ältere Patienten übermäßig daran sterben. Und damit meine ich, dass die vor allem die Betroffenen sind innerhalb der bestehenden Fallsterblichkeitsrate. Und das ist wahrscheinlich eine Funktion auch von Grunderkrankungen. Also wenn man älter wird, dann bekommt man zwangsläufig auch breit in der Bevölkerung vertretene Grunderkrankungen: Diabetes, Lungenerkrankungen, COPD zum Beispiel oder auch Herzerkrankungen. Und die sind wie bei vielen anderen Atemwegsinfektionen auch ein Risikofaktor. Das männliche Geschlecht ist interessant. Niemand weiß genau, woher das kommt. Viele wissen aber, dass das Rauchen in China Männersache ist. Und das mag eine Erklärung sein dafür. Also ich habe mal Zahlen gehört, dass in China 40 Prozent der Männer rauchen, aber nur 2 Prozent der Frauen, durch alle Bevölkerungsschichten. Und die älteren Männer werden natürlich noch mehr rauchen, weil auch in China das Rauchen aus der Mode kommt bei den Jüngeren. Sodass wir da vielleicht einen Anhaltspunkt haben. Die Zahlen außerhalb von China sagen uns da noch nichts dazu aus. Bei den Schwangeren ist es richtig, es gibt keine starken Hinweise darauf. Und die müsste man eigentlich inzwischen sehen, wenn es so wäre wie bei der Grippe, dass es eine Sondergefährdung für Schwangere gibt. Das kommt bei der Grippe wahrscheinlich einfach daher, dass Schwangere schon auf eine bestimmte Art eine gewisse Immuntoleranz entwickeln müssen und dass das Influenza-Virus davon anscheinend profitiert. Und bei den Kindern ist es so, dass die schon das Virus replizieren können. Also die können infiziert werden, aber die kriegen keine schweren Symptome.

Seltmann: Man hat eine gewisse Sterblichkeitsziffer genannt, die liegt so zwischen 2 und 4 Prozent, möglicherweise darunter, weil man gar nicht alle Infizierten erkennt. Wäre auch für diese Berechnung so ein Schnelltest sinnvoller, weil man ja vielleicht nicht bei jedem Kratzen im Hals gleich eine Klinik oder ein Speziallabor aufsucht, um sich testen zu lassen?

Drosten: Also die Fallsterblichkeitsrate von 3 Prozent, die ist hoffentlich nicht echt. Also hoffentlich gibt es viel, viel mehr Fälle. Es gab zuletzt Daten oder Informationen aus China nach dem WHO-Besuch dort, die in Pressestatements verpackt worden sind, die eigentlich suggerieren, dass es gar nicht so ist, dass in China gar keine Fälle übersehen wurden. Ich glaube das weiter nicht, denn die Ziffern außerhalb von China sprechen eine andere Sprache. Dort ist die Rate viel geringer. Auch da muss man sagen, es wird gerade im Moment ein bisschen unübersichtlich und kompliziert. Das liegt daran, dass Iran und Italien relativ viele Todesfälle haben und offenbar hinterherhinken mit dem Zählen von milden Fällen. Besonders der Iran. Und dadurch wird das Bild verzerrt. Wenn man diese Zahlen aber abzieht aus den Fällen außerhalb von China, dann sieht man ein Bild, das dem entspricht, was viele Experten im Moment denken, dass also wir mit einer Sterblichkeitsrate von um einen halben Prozentpunkt rechnen müssen. Und das ist immer noch viel. Also das ist jetzt nicht so, dass wir deswegen sagen können, dann ist ja alles nicht so schlimm, weil ja nur ein halbes Prozent der Infizierten verstirbt. Das Problem ist, dass wir hier eine sehr infektiöse Erkrankung haben, die sich schnell in der Bevölkerung verbreitet. Und da ist es natürlich dann so, wenn wir viele milde Fälle haben, dann ist auch ein halbes Prozent schwerer Fälle irgendwann eine hohe Absolutzahl. Und einem Verstorbenen stehen dann schon mal mindestens zehn Patienten gegenüber, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen, inklusive Beatmung. Und da kommen wir an die Grenzen unserer Kapazität mit Beatmungsbetten.

Seltmann: Auf die Vorbereitungen möchte ich gleich noch mal zurückkommen, aber zunächst mal wollte ich fragen: Sie haben ja mittlerweile nicht mehr nur die Sequenz der Erbsubstanz zur Verfügung, sondern bei Ihnen im Labor auch die echten Viren und können die untersuchen. Woher haben Sie die?

Drosten: Die haben wir fast alle selber isoliert. Uns werden ja Materialien zugeschickt als Konsiliarlabor. Das heißt, wir machen Bestätigungsdiagnostik für Kollegen, die anderswo in Deutschland Fälle diagnostizieren. Und die sind häufig so nett, uns dann auch Material zu schicken, sodass wir dann selber eben das Virus isolieren können. Und in einigen Fällen haben uns Kollegen auch bereits isolierte Viren geschickt, damit wir die vergleichen können mit anderen.

Seltmann: Sind das dann Fälle aus Deutschland gewesen?

Drosten: Das sind alles Fälle aus Deutschland. Wir haben aber auch ein isoliertes Virus aus Australien bekommen. Ja, und wir werden natürlich in nächster Zeit uns dann damit beschäftigen, nach ersten Hinweisen für Veränderungen des Virus in der Anpassung auf den Menschen zu suchen anhand dieser Virusisolate.

Seltmann: Entdecken Sie neue Eigenschaften am echten Virus, die Sie anhand der Sequenz nicht vorhergesehen haben?

Drosten: Man kann leider anhand der Sequenz fast auf gar nichts schließen. Wir haben hier ein Virus, das sehr nah mit dem SARS-Erreger verwandt ist, aber doch ganz andere Eigenschaften hat. Viele sind darüber überrascht. Ich auch. Und wir versuchen, da jetzt zu verstehen anhand von funktionellen Studien, woran das liegen könnte. Da reicht es nicht aus, nur Virus-Isolate zu haben, sondern man muss auch das Virus im Labor gentechnisch verändern können, um zu überprüfen, ob bestimmte Veränderungen nachstellbar sind im Labor. Das ist der einzige Weg, das herauszufinden. Aber die Vorarbeiten dazu basieren einfach auf lebenden Virus-Isolaten, und die laufen hier bei uns im Moment.

Seltmann: Welche Eigenschaften haben Sie überrascht?

Drosten: Was mich am meisten überrascht, ist, dass das Virus aktiv im Rachen repliziert. Wir haben das an den Münchner Patienten schon in der Diagnostikphase am Anfang gesehen, dass da sehr viel Virus im Rachen ist und dass wir das Virus auch isolieren können aus dem Rachen, und haben jetzt in einer sehr detaillierten Untersuchung der Ausscheidungsverläufe dieser Patienten, also der Virus-Ausscheidung im Rachen, in der Lunge, anderen Körperkompartimenten, auch Untersuchungen zur aktiven Virus-Replikation angestellt.. Und das Szenario ist jetzt so: Wir fragen uns, ist das wahr, dass im Rachen das Virus repliziert. Und wir haben hier zwei Dinge gegeneinander zu testen. Das eine ist: Es könnte hochgehustetes Virus aus der Lunge sein, Oder das, was wir da nachweisen in Rachenmaterialien, das ist wirklich aktiv replizierendes Virus. Und das haben wir angeschaut. Und es ist so. Also wir können nach unseren Auswertungen sagen: Ja, also Rachenzellen replizieren aktiv das Virus. Das ist schon überraschend.

Seltmann: Das heißt, das Virus vermehrt sich in diesen Rachenzellen? Was hatten Sie denn vorher gedacht? Dass es sich nur in Lungenzellen vermehrt?

Drosten: Ja, genau. Also das war das, was man über den SARS-Erreger auch wusste. Und dieser Erreger hier ist ja jetzt im Prinzip eine Variante des SARS-Erregers. Und der SARS-Erreger selbst damals, der replizierte nur in der Lunge. Das lag an der Rezeptorverteilung. Dieses Virus benutzt denselben Rezeptor, aber trotz einer Rezeptorverteilung schwerpunktmäßig in der Lunge ist dieses Virus in der Lage, extrem effizient im Rachen zu replizieren. So effizient, dass es am Anfang der Erkrankung sogar mehr Virus gibt im Rachen als in der Lunge. Und das ist natürlich besorgniserregend, was die Übertragung angeht von diesem Virus. Wir haben auch ein paar Ideen, warum das so sein könnte. Und wir glauben, dass dieses Virus also weniger angewiesen ist auf im Gewebe vorhandene Proteasen und dass wir aus diesem Grunde vielleicht eine Ausweitung des Tropismus bei diesem Virus haben.

Seltmann: Entschuldigung, Tropismus heißt? Noch auf andere Zellen?

Drosten: Ja, genau. Also Tropismus bedeutet, welche Zellen oder welchen Teil des Körpers kann eigentlich das Virus so infizieren. Also Ausweitung des Tropismus wäre so gemeint: von der Lunge aus ausgeweitet. Weil in der Lunge geht es sowieso, da ist der Rezeptor sowieso vorhanden. Aber warum kann jetzt das Virus da replizieren, wo von dem Rezeptor nur ganz wenig ist? Das ist also eine Ausweitung des Zielgewebes. Das ist genau die Situation, die wir haben bei der Grippe im Tierreservoir. Und das ist der Unterschied zwischen der hochpathogenen und der niedrigpathogenen Vogelgrippe.

Seltmann: Das heißt, das ist eher eine beunruhigende Nachricht?

Drosten: Beunruhigend ist prinzipiell, dass das Virus so gut ausbreitungsfähig ist. Und wir können das vielleicht in Zukunft daran festmachen, dass es diesen molekularen Unterschied gibt zwischen den Viren.

Seltmann: Was wissen Sie sonst noch jetzt über das Virus?

Drosten: Wie gesagt, das Virus ist eben ein SARS-ähnliches Virus. Wir machen die ersten Versuche mit den Viren und sehen, wie gut dieses Virus darin ist, zum Beispiel die initiale Immunabwehr in menschlichen Zellen zu umgehen. Das müssen Viren immer tun, sonst können sie gar nicht existieren. Die müssen also immer was gegen die sogenannte angeborene Immunität so machen. Und da würde ich ... könnte man sagen, die ersten Andeutungen von Daten, die wir jetzt bekommen, die sehen so aus, als könnte das Virus da sein Potenzial noch verbessern, was nicht unbedingt viel Gutes bedeutet. Also das könnte schon heißen, dass so ein Virus auch noch übertragbarer wird.

Seltmann: Medikamente gibt es gar keine, zielgerichtete gegen das Virus?

Drosten: Es gibt eine Substanz, die heißt Remdesivir, die wird von Gilead im Prinzip entwickelt. Und da laufen auch jetzt klinische Studien, das ist ein Inhibitor der RNA-Polymerase dieses Virus. Und das ist eine Substanz, deren Vortestung in bestimmten Zellkulturen oder Tiermodellen eigentlich gar nicht so gut aussah für das SARS-Virus und für andere Corona-Viren, vor allem MERS-Virus. Diese Substanz wurde als Breitband-RNA-Virus-Inhibitor entwickelt und wurde während der Ebola-Epidemie am wirklichen Endpunkt dieser Epidemie so im Prinzip bei den paar letzten Patienten in Westafrika noch klinisch ausprobiert. Und es laufen jetzt klinische Studien für die Anwendung in SARS2-Patienten in China. Und was ich höre, ist, dass es klinisch nicht schlecht aussieht mit der Wirksamkeit dieser Substanz. Das heißt aber nicht, dass die demnächst jetzt überall in der Apotheke zu kaufen ist. Das wird noch lange Zeit dauern bis dahin.

Seltmann: Aber bei lebensgefährlichen Erkrankungen kann man ja ein solches auch noch nicht zugelassenes Medikament auch als Heilversuch einsetzen, oder glauben Sie, das ist dann nicht möglich?

Drosten: Also der Einsatz als Heilversuch hängt immer davon ab, ob die jeweilige Firma dieses Medikament auch zur Verfügung stellt für den Heilversuch. Und natürlich ist das jetzt keine Substanz, die in Massen schon synthetisiert ist. Und deswegen wäre ich jetzt im Moment nicht optimistisch, was eine breite Verfügbarkeit für Heilversuche angeht.

Seltmann: Wird an weiteren Medikamenten gearbeitet?

Drosten: Es wird natürlich fieberhaft an Medikamenten-Substanzen gearbeitet. Es gibt sicherlich auch Substanzen, die jetzt in der Pharmaindustrie noch mal genau angeschaut werden, ob sie nicht auf einen schnellen Entwicklungstrack gebracht werden.

Seltmann: Wie steht es um die Entwicklung eines Impfstoffs?

Drosten: Ja, bei den Impfstoffen ist es ein ähnliches Thema. Also es gibt im Prinzip jetzt schon Kandidaten. Es gab gute Erfahrungen zu SARS für einige Impfstoffansätze. Das sind insbesondere rekombinant hergestellte Proteine. Und die sind sehr leicht anzupassen eigentlich zwischen diesen beiden Viren. Und da gibt es Firmen, die jetzt vorwärts machen und jetzt in Tiermodelle schon längst gegangen sind und natürlich dann auch gerne möglichst schnell in die klinische Zulassung gehen wollen. Aber dennoch wird das lange Zeit dauern. Also es wird sicherlich nicht Ende des Jahres ein Impfstoff da sein, so einfach wir das nicht sein.

Seltmann: Irgendwann kam das Virus aus den Fledermäusen auf den Menschen, möglicherweise über einen Zwischenwirt. Was ist da eigentlich genau passiert? Hat sich das Virus dabei verändert?

Drosten: Wir wissen gar nicht viel über den Übergang. Wir wissen, dass das SARS-Virus aus Karnivoren kam, das waren zum einen Zibetkatzen, also Civet Cats im Englischen. Im Deutschen sagen wir eher Schleichkatzen, weil Zibetkatzen in dem Sinne kommen in China gar nicht vor. Also Schleichkatzen. Und dann zum anderen Marderhunde, Raccoon Dogs. Und es ist jetzt bei diesem neuen Virus vollkommen unklar, was die Tierart ist, aus der das kam. Es gibt so einen Befund, der ist lange durch Twitter und soziale Medien getrieben worden, zum Schuppentier. Das halte ich für vollkommenen Unsinn. Und auch die Daten, die dann am Ende dabei rauskamen nach großspurigen Ankündigungen, sind nicht so, dass man denken könnte, dass das was mit diesem Virus zu tun hat. Im Gegenteil. Also man sieht hier leider auch, wie Wissenschaftler inzwischen über Twitter Stimmung machen für ihre eigenen noch unpublizierten Daten, die sie dann unter Hochdruck bei den Journals einreichen wollen, weil schon die ganze Community inklusive der auch immer twitternden Editoren dieser Journals schon vorbereitet sind auf die Sensation. Das ist schon eine ziemlich merkwürdige Entwicklung, die wir da im Moment sehen. Bei dem Tierreservoir gibt es ansonsten überhaupt keine Neuigkeiten.

Seltmann: Aber hat sich das Virus selbst ... muss sich das verändern, wenn es zunächst Fledermäuse infiziert und dann auf den Menschen übergeht? Oder ist das genau das gleiche Virus?

Drosten: Also das Virus, das wir jetzt vor uns haben, ist sicherlich noch sehr, sehr ähnlich wie ein Virus, das ursprünglich mal aus einem Tierreservoir gekommen ist. Wie gesagt, wir wissen nicht, welches dieses Tierreservoir war. Sicherlich irgendein Zwischenwirt, möglicherweise aber auch Fledermäuse direkt, das ist möglich. Und wir wissen eigentlich aus Erfahrung, dass nur wenige Änderungen notwendig sind, um das Virus dann kompatibel für den Menschen zu machen. Diese Änderungen sind hier sicherlich eingetreten, das ist klar. Aber es ist zum Beispiel so, dass bestimmte Merkmale im Oberflächenprotein da genau an der Stelle, wo die Rezeptorbindung stattfindet, die sind noch nicht optimal. Da könnte das Virus sich noch verbessern. Das ist noch nicht eingetreten.

Seltmann: Ist das Virus jetzt immer noch in den Fledermäusen drin? Könnte das auch noch mal passieren, dass das Virus aus den Fledermäusen ein zweites Mal auf Menschen übergeht?

Drosten: Es gibt ganz gute Daten dafür, dass auch das SARS-Virus nach der Epidemie 2003 noch mal wieder auf den Menschen übergegangen ist, aber nicht weitergegangen ist. Und wahrscheinlich ist das nicht nur einmal passiert, sondern immer wieder. Und dieses neue Virus ist jetzt plötzlich sehr ausbreitungsfähig. Es hat Eigenschaften, die das vielleicht erklären könnten. Und was wir daran jetzt sehen, ist, es ist mal wieder so eine Erfahrung, wo man im Nachhinein was gelernt hat. Genau wie damals in den 60er-Jahren, als Ebola und Marburg zum ersten Mal auffielen und man auch damals gesagt hat, das wird es nie wieder geben, das ist die absolute Ausnahme gewesen. Da war man dann zehn Jahre später eines Besseren belehrt. Und hier hat es jetzt 17 Jahre gedauert von SARS1 bis zu SARS2. Ich denke, wir werden uns darauf einstellen müssen, dass SARS-ähnliche Viren den Menschen infizieren können und das auch immer wieder tun werden.

Seltmann: Es heißt also auch, Fledermäuse oder möglicherweise vorhandene Zwischenwirte des Virus könnten das Virus wieder weiterverbreiten, wenn sie Wuhan verlassen?

Drosten: Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob es wirklich so ist, dass das eine direkte Beziehung zu Wuhan speziell hat mit dem Tierreservoir. Es wird ja über den Markt gesprochen. Ich glaube eigentlich, dass auf diesem Markt das Virus von einem Menschen verteilt wurde, der dort vielleicht beschäftigt war. Aber ich denke, das war nicht so der Zufall, dass speziell an der Stelle die Initialzündung gesetzt wurde, denn das Virus sah von Anfang an schon so aus, wie es jetzt aussieht. Das heißt, es sah auch damals in den allerersten Patienten auf dem Markt schon so aus, als sei es an den Menschen etwas angepasst. Das heißt, ich glaube, dass es eigentlich schon Wochen oder Monate vorher unerkannt irgendwo den Menschen infiziert hat. Und wir kennen diese Viren einfach nicht, wir haben die nie sequenziert. Die sind wahrscheinlich inzwischen auch verschwunden. Ich glaube nicht, dass damals ausgerechnet auf diesem Markt ausgerechnet dieser dumme Zufall passiert ist und das Virus dann von vornherein so gut übertragbar war. Das ist nicht, was man normalerweise bei zoonotischen Viren sieht. Und dann, um das noch mal abzuschließen, den Gedanken, ist es jetzt natürlich so: Wir wissen oder können ahnen, dass dieses Virus immer wieder aus dem Reservoir zurückkommen wird. Aber wir haben jetzt eine Pandemie. Und diese Pandemie wird die ganze Menschheit betreffen. Danach werden wir aber wahrscheinlich dieses Virus nicht los sein, sondern dieses Virus wird dann zu einem landläufigen Erkältungsvirus werden, davon gehe ich aus. Das wird also endemisch, wie wir sagen. Wir haben dann ein fünftes menschliches Erkältungs-Corona-Virus. Das wird auch dann nur noch Erkältungen verursachen. Aber das ist dann auch ein Schutzschild für die Menschheit gegen das nächste Wiederauftauchen aus dem Tierreservoir. Dann wird sich das nächste SARS-ähnliche Virus nicht mehr verbreiten können, denn das ist wie eine natürliche Impfung für die gesamte menschliche Bevölkerung.

Seltmann: Das heißt aber, man wird dann immer wieder auch damit infiziert werden können, wenn sich das Virus hier sozusagen einnistet als endemisches Virus?

Drosten: Richtig. Also ich gehe davon aus, dass wir Zukunft, und das heißt so ab dem übernächsten Jahr wahrscheinlich, sehr regelmäßig, vor allem auch mit Betonung bei Kindern, dieses Virus immer wieder nachweisen. Aber das wird vor allem eine Erkältung sein.

Seltmann: Wie gut sind wir denn jetzt vorbereitet in Deutschland auf eine möglicherweise ausbrechende Epidemie?

Drosten: Es ist diese Vorbereitungsdiskussion immer zu stellen mit einer Zeitdiskussion. Also es ist vollkommen unmöglich zu sagen, Deutschland ist gut oder schlecht aufgestellt, sondern was man eigentlich sagen muss, ist: Es kommt drauf an, wie schnell jetzt eine Infektionswelle kommt. Wenn wir eine schnelle Infektionswelle haben mit diesen Viruseigenschaften wie jetzt, die sich vielleicht innerhalb von zwei Monaten über die Gesamtbevölkerung ausbreitet, dann haben wir ein Riesenproblem in Deutschland. Und das ist in allen anderen Ländern Europas und Nordamerikas usw. und ganz zu schweigen von Entwicklungsländern und Schwellenländern eine universelle Feststellung. Da können wir nicht drüber diskutieren. Wir haben einfach dann ein großes Problem. Wenn sich das aber verzögern lässt, wenn wir also beispielsweise jetzt so, wie das jetzt zum Beispiel gerade im Moment passiert, die ersten haben kleinen Ausbrüche, die man erkennt, dass man die eben doch noch sehr gut kontrolliert und verfolgt und versucht, die einzudämmen, zum Teil auch über kurzzeitige Schließungen von Sozialeinrichtungen wie Schulen oder auch über Absage von Massenveranstaltungen, dann könnte das sein, dass uns das Wochen oder sogar ein, zwei Monate Zeit gewinnt, weil noch etwas anderes dazukommt: Das ist das kommende Frühjahr. Also die zunehmende Trockenheit in der Umgebung, die zunehmende UV-Strahlung und die Tatsache, dass Menschen mehr draußen sind und weniger öffentliche Verkehrsmittel benutzen zum Beispiel. Das könnte dazu führen, dass im Prinzip sich diese Infektionswelle über lange Zeiten hinschleppt und wir eigentlich gar kein Problem haben und überhaupt gar nicht drüber nachdenken müssen, ob wir wirklich jetzt so ein Vorbereitungsproblem zu klären haben. Wir wissen allerdings auch dann nicht, wenn sich das zum Beispiel über die Sommermonate ganz sachte nur hinschleppt, ob es dann mit noch größerer Wucht im Winter zurückkommt.

Seltmann: Wohin verschwindet das Virus, wenn es nicht mehr da ist, nachdem die Epidemie abgeflaut ist?

Drosten: So ein Virus verschwindet nicht, sondern es verringert nur seine Infektionshäufigkeit. Wir wissen, dass viele Erkältungsviren im Prinzip sich zurückziehen in die Kinder. Also die Kinder sind ja immunologisch naiv. Die haben ihre erste Infektion noch nicht gehabt. Da kann das Virus besonders gut replizieren. Und das heißt, so ein Erkältungsvirus verschwindet nicht, sondern das macht sich ... das zieht sich nur so ein bisschen zurück. Und der Rückzugsort sind Kitas und Schulen.

Seltmann: Welche Vorkehrungen treffen Sie persönlich?

Drosten: Ich persönlich treffe genau die gleichen Vorkehrungen wie die Normalbevölkerung, die vernünftig mit dieser Sache umgeht, nämlich im Moment gar keine. Wenn es dazu kommen sollte, dass wir hier in Berlin eine Viruszirkulation haben, die mehr ist als nur ein paar Cluster, wo man aus statistischen Gründen eigentlich gar nicht drüber nachdenken muss, dass man sich infiziert, sondern wenn man wirklich das ernsthafte Risiko hätte, sich hier jetzt zu infizieren, also auf der Höhe einer Infektionswelle, würde ich mich auch vor Infektion schützen genau wie meine Familie. Das heißt, ich würde nur noch Fahrradfahren, was ich sowieso schon relativ viel tue, und eben die öffentlichen Verkehrsmittel meiden. Ich würde nicht zu großen Veranstaltungen gehen, wo ich tausend Menschen ohne ... ja, ohne Abstand treffe, also ein Rockkonzert würde ausfallen. Ich war allerdings auch schon seit zwei, drei Jahren bei keinem mehr. Ich würde mal wieder gerne, aber mir fehlt die Zeit. Und ich würde auch möglicherweise meine Eltern nicht nach Berlin einladen. Die wohnen auf dem Land, und da sind sie sehr gut aufgehoben. Hier in der Großstadt bin ich mir nicht so sicher, ob mein 70-, 72-jähriger inzwischen Vater das gut überstehen würde. Das kann man einfach so sagen. Der hat keine Grunderkrankungen, aber der ist in einem gefährdeten Alter. Und in so einer Zeit muss man nicht unbedingt die Geburtstagsparty des Kindes hier in Berlin feiern mit den Großeltern.

Seltmann: Beim letzten Interview Anfang Januar habe ich Sie gefragt: Würden Sie noch nach China reisen? Damals haben Sie geantwortet: Ich würde nichts lieber tun, als im Moment nach China zu reisen, und zwar genau dahin, wo dieses Virus jetzt vielleicht umgeht, um das zu beforschen. Aber die chinesischen Kollegen machen das leider alles selber. Würden Sie das immer noch gerne tun, nach China reisen?

Drosten: Also im Moment würde ich aus rein wissenschaftlichem Interesse da immer noch gerne hinfahren, aber die Situation hat sich jetzt für mich hier so gewandelt, dass ich sage, wir haben hier eigentlich keinen Virusursprung mehr zu beforschen, sondern echte Epidemiologie im Menschen. Und das können wir leider zunehmend gut in Deutschland. Und deswegen ist es ziemlich wichtig, dass ich Moment hier bin.

Seltmann: Ja, vielen Dank.

Drosten: Gerne.

Seltmann: Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health. BIH-Professor Christian Drosten schätzte für uns die aktuelle Lage mit dem Coronavirus Sars CoV2 ein. Falls auch Sie eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an podcast@bihealth.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal sagt Stefanie Seltmann.