Aus Forschung wird Gesundheit.
BIH-Podcast_3_2019_Wie hoch darf der Blutdruck sein?
Interviewpartner: Professor Burkert Pieske
Interviewpartner: Herzlich willkommen zum Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health, dem BIH. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann, ich bin Pressesprecherin des BIH.
Interviewpartner: Heute bin ich zu Gast am Deutschen Herzzentrum Berlin, in der Kardiologie. Ich möchte wissen, wie hoch der Blutdruck sein darf, denn in Europa und in den USA gelten unterschiedliche Richtwerte. Beantworten kann mir diese Frage BIH-Professor Burkert Pieske. Er ist Direktor für Kardiologie nicht nur am Deutschen Herzzentrum, sondern auch an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie der Charité am Campus Virchow-Klinikum.
Seltmann: Herr Prof. Pieske, in Deutschland gilt ein Blutdruck von unter 140 zu 90 als Zielwert, der erreicht werden sollte, gegebenenfalls mit Medikamenten. In den USA gelten 130 zu 90 als Zielwert. Wer hat Recht?
Pieske: Also die Frage kann man so nicht generell beantworten, wer jetzt Recht hat. Zielwerte sind Zielwerte. Die Zielwerte werden von Fachgesellschaften empfohlen aufgrund von großen Beobachtungsstudien und auch Behandlungsstudien. Die Amerikaner haben sich entschlossen vor zwei Jahren, die Zielblutdruckwerte noch einmal weiter abzusenken auf eben den oberen Wert 130. Die europäischen Fachgesellschaften sind dem nicht gefolgt. Und die neuesten Entwicklungen bleiben bei dem oberen Zielwert von unter 140 mmHg.
Seltmann: Halten die Europäer mehr aus?
Pieske: Ich glaube nicht, dass die Europäer mehr aushalten. Aber die Europäer sind in der Annahme von vielleicht auch neuen Erkenntnissen immer etwas konservativer und warten vielleicht noch mal etwas länger, ob sich denn solche neuen Erkenntnisse dann auch wirklich bewähren, ehe man sie breit umsetzt und empfiehlt. Ich glaube, dass die Europäer hier gute Gründe gehabt haben, und ich kann das auch selber sehr unterstützen bei den Zielwerten von unter 140, oberer Wert, und unter 90 mmHg, unterer Wert, zu bleiben.
Seltmann: Jetzt hat ja eine Berliner Beobachtungsstudie herausgefunden, dass ältere Patienten sogar ein höheres Sterberisiko hatten, wenn ihr Blutdruck besser gesenkt werden konnte, also sie besser eingestellt waren. Wie kann man das denn erklären?
Pieske: Diese Studie muss man sehr ernstnehmen, denn das ist die Berliner-Initiative-Studie, die mehrere tausend Menschen nachverfolgt, ohne dass man jetzt gezielte Behandlungen anwendet, sondern eine Beobachtungsstudie. Und in dieser Beobachtungsstudie werden nur Menschen über 70 Jahre eingeschlossen. Und diese Studie hat tatsächlich gezeigt, dass, wenn ich sehr alte Menschen, Über-80-Jährige sehr intensiv behandele, und der mittlere Blutdruck in dieser Gruppe lag bei 125 mmHg, wenn ich die sehr intensiv behandele, dass die dann nicht mehr davon profitieren. Ich denke, das sollten wir sehr ernstnehmen. Und auch wenn die Menschen schon erkrankt sind, also Herz-Kreislauf-Probleme oder Nierenerkrankungen haben, dass sie dann von einer zu aggressiven Blutdrucksenkung nicht mehr profitieren.
Seltmann: Warum profitieren sie nicht? Was kann dann passieren? Wieso haben die ein höheres Sterberisiko?
Pieske: Also diese Beobachtung, die gibt es auch aus anderen Studien. Wir sagen da so eine U Shaped, also eine U-förmige Kurve, dass man sagt, es gibt einen optimalen Blutdruckbereich für viele Menschen, der liegt vielleicht so um 120, 130, 140 mmHg. Und wenn man zu stark absenkt, dann nimmt die Nebenwirkungsrate und Komplikationsrate und gleich bis hin zur Sterblichkeit auch wieder zu. Und wenn aber der Blutdruck nicht gut eingestellt ist, dann nimmt diese Rate von Komplikationen und Sterblichkeit eben auch zu. Und das ist diese U-förmige Behandlungskurve. Also man muss für jeden Menschen versuchen, auch aufgrund der anderen Risikofaktoren, die vielleicht auch noch da sind, Diabetes, Blutstoffwechselstörung, und andere, eben das ideale Blutdruckziel zu finden. Mit anderen Worten, es gilt nicht jetzt ein Grenzwert für alle gleichermaßen, das ist orientierend, sondern ein Mensch, der nur einen Risikofaktor hat, Bluthochdruck, und ansonsten eigentlich gesund ist, da muss ich vielleicht nicht ganz so aggressiv rangehen wie bei einem Menschen, der noch viele andere Risikofaktoren hat, wo ich jeden dieser Risikofaktoren gut kontrollieren muss, um das hohe Gesamtrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen dann wirklich positiv zu beeinflussen.
Seltmann: Gibt es Unterschiede im Blutdruckwert zwischen alten und jungen Menschen? Früher sagte man, der Blutdruck muss so viel sein wie das Alter plus 100. Also ein 80-jähriger Mensch sollte ein Blutdruck von 180 haben.
Pieske: Also das ist sicher falsch. Und davon sind wir abgekommen. Ich kenne das noch. Ich weiß gar nicht, ob ich das im Studium noch gelernt habe. Aber das ist verlassen, diese Faustregel gilt nicht mehr. Auch die alten Menschen profitieren ganz enorm davon, wenn man einen erhöhten Blutdruck kontrolliert. Und bei diesen alten Menschen ist eben der Schlaganfall ein ganz großes Risiko. Und das kann massiv gesenkt werden. Also ein 80-Jähriger mit einem Blutdruck von 180, das ist viel zu hoch, und der muss kontrolliert werden. Den muss man vielleicht nicht auf 120 senken, das wäre jetzt zu ehrgeizig, aber den sollte man auf einen vernünftigen Wert von vielleicht 140 herunterbekommen, und dann ist das eine gute Sache.
Seltmann: Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern?
Pieske: Na ja, das ist eine ganz wichtige Frage. Frauen sind ja vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen viele Jahre besser geschützt aus Gründen, die wir noch nicht endgültig verstanden haben, als die Männer. Im höheren Alter holen die Frauen dann aber rasch wieder auf, sodass ich empfehle, bei Frauen wie Männern gleichermaßen darauf zu achten, dass der Blutdruck als einer der Hauptrisikofaktoren ordentlich eingestellt ist.
Seltmann: Gibt es Unterschiede zwischen Sommer und Winter? Ich habe mal gehört, dass im Sommer der Blutdruck etwas niedriger ist, vielleicht, weil durch die Wärme die Gefäße weiter werden?
Pieske: Das ist so. Das muss man auch den Menschen sagen. In vielen Kombinationsbehandlungen sind Diuretika, die wasserfördernd sind, also die die Urinproduktion in der Niere steigern. Und diese Dosierungen muss man im Sommer durchaus auch anpassen und das den Menschen auch sagen. Wenn es jetzt heiß ist und man schwitzt viel, und gerade ältere Menschen trinken häufig nicht ausreichend, dann trocknen die aus. Dann wirken diese Blutdruckmedikamente nochmal viel stärker, und das ist dann nicht mehr gut. Das bedeutet: Ja, wenn es heiß wird und trocken wird, wenn man in den Urlaub in den Süden fährt, sollte man sich darauf vorbereiten, dann eventuell die Blutdruckmedikamente etwas zu reduzieren. Was ich auch empfehle, ist, dass sich die betroffenen Menschen ein gutes Blutdruckselbstmessgerät zulegen und selber messen. Sie sollten ihr Gerät gelegentlich zum Beispiel in der Apotheke einfach mal gegenchecken, ob es die richtigen Werte anzeigt, die sie messen, dass das auch stimmt. Das rate ich einmal im Vierteljahr, das Gegenchecken beim Hausarztbesuch oder in der Apotheke. Wenn Sie messen und dann die Apotheke misst, kommt da das Gleiche raus ungefähr? Und sich dann auch darauf einstellen, wenn plötzlich ein stabiler Blutdruck von 130 zu 80 im Sommer nur noch 110 zu 70 ist und man sich unwohl fühlt und schwindelig, dann hat man vielleicht zu viele Blutdruckmedikamente.
Seltmann: Ganz generell, was empfehlen Sie denn, um hohem Blutdruck vorzubeugen, dass man gar nicht erst in die Situation kommt, ein Patient zu sein?
Pieske: Also das ist natürlich die Eine-Million-Euro-Frage: Wie kann ich verhindern, dass ich Bluthochdruck bekomme? Bluthochdruck ist eine potenziell vermeidbare Erkrankung. Bluthochdruck wird begünstigt durch körperliche Inaktivität, durch Übergewicht, durch fehlerhafte Ernährung, also Fertigprodukte, Zucker und fettreiche Produkte.
Seltmann: Zu viel Salz auch?
Pieske: Und vielleicht zu viel Salz. Das ist gerade sehr in der Diskussion, ob das wirklich so stimmt. Es gibt eine gewisse Sensitivität auf zu viel Salzeinnahme für manche Menschen, aber nicht für alle. Natürlich wissen wir nicht so ganz genau, man kann das genetisch testen, aber das macht man in der Regel natürlich nicht, wir wissen es nicht, für wen jetzt diese sogenannte Salzsensitivität zutrifft und für wen nicht. Ich persönlich halte mich mit sehr speziellen Empfehlungen etwas zurück. Also ich empfehle auch den Bluthochdruckmenschen nicht, dass sie jetzt generell auf Salz verzichten. Es ist nämlich auch sehr schwer. Vieles ist schon bisschen vorgesalzen. Da darf man sich auch nicht zu irre machen lassen. Dennoch, wenn jemand durch vermehrte Kochsalzaufnahme zu erhöhten Blutdruckwerten neigt, dann muss er das natürlich kontrollieren.
Seltmann: Wie sieht es mit den großen Risikofaktoren aus: Rauchen, Alkohol?
Pieske: Rauchen erhöht den Blutdruck, das ist ganz klar. Wenn Sie jetzt eine Zigarette rauchen, wenn ich jetzt hier eine Zigarette rauchen würde, würde mein Blutdruck um etwa 7 bis 8 mmHg ansteigen. Unmittelbar durch die Zigarette. Und darüber begünstigt Zigarettenrauchen durch die Arteriosklerose, durch die Gefäßverkalkung und -verhärtung, die daraus entsteht, natürlich auch mittelfristig auch den Bluthochdruck. Also Rauchen ist ganz schlecht und sollte definitiv vermieden werden. Beim Alkohol muss man es vielleicht ein bisschen differenzierter sehen. Generell rate ich nicht davon ab, Alkohol in vernünftigen, geringen Mengen zu trinken. Alkohol hat eine gefäßerweiternde Wirkung, es entspannt auch. Also ich sehe durchaus, dass bei den Herrschaften beim gelegentlichen Gläschen Rotwein, wenn da ein bisschen Entspannung ist, der Blutdruck auch wieder etwas runtergeht. Also Alkohol in Maßen ja. Zu viel Alkohol ist natürlich, das ist bekannt, auch gesundheitsschädlich.
Seltmann: Vielen Dank, Herr Professor Pieske. Das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institut of Health. BIH Professor Burkert Pieske antwortete auf die Frage: Wie hoch darf der Blutdruck sein? Falls Sie auch eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an info@bihealth.de. Am Mikrofon verabschiedet sich Stefanie Seltmann.
Seltmann:
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