Aus Forschung wird Gesundheit

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BIH_Podcast_38_Sind Wissenschaft und Familie vereinbar?

Interviewpartner: Prof. Martin Kircher, Leiter der Arbeitsgruppe Computational Genome Biology am BIH, Dr. Anja Collazo, wissenschaftliche Mitarbeiterin im BIH QUEST Center und Karin Höhne, Leiterin der Stabsstelle für Chancengleichheit am BIH.

Stefanie Seltmann: Herzlich Willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institut of Health in der Charité, dem BIH. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann. Heute möchte ich über ein eher unterbeleuchtetes Thema in der Wissenschaft sprechen. Es geht um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie. In der Forschung sind die Arbeitstage oft sehr lang. Experimente lassen sich nicht auf die Minute genau vorherplanen, zu Kongressen muss man durch die halbe Welt reisen, aufgrund befristeter Arbeitsverträge muss man den Arbeitsort regelmäßig wechseln, aus Karrieregründen oft sogar ins Ausland verlegen. Und der Konkurrenzdruck ist enorm hoch. Wie lässt sich das mit dem Aufbau und Erhalt einer Familie vereinbaren? Bleibt für beides genügend Zeit? Hat man es als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin besonders schwer, die Work Life Balance im Gleichgewicht zu halten? Oder bietet die Möglichkeit, seine Zeit relativ frei einzuteilen auch Chancen? Zu diesem spannenden Thema habe ich drei Gäste zu mir ins BIH eingeladen. Professor Martin Kircher leitet die Arbeitsgruppe für Computational Biology im BIH, und er hat mit seinem Mann gemeinsam zwei kleine Kinder. Dr. Anja Collazo ist Wissenschaftlerin im BIH Quest Center for Responsible Research und ist alleinerziehender Mutter eines sechsjährigen Sohnes. Und Karin Höhne leitet die Stabstelle für Chancengleichheit am BIH. Guten Tag in die Runde.

Runde: Hallo.

Stefanie Seltmann: Frau Collazo, Sie sind Wissenschaftlerin und alleinerziehende Mutter. Beschreiben Sie doch mal Ihren Alltag.

Anja Collazo: Ich betreue mein Kind im Wechselmodell. Das heißt, mein Sohn ist immer eine Woche bei mir, in der Zeit bin ich in Leipzig und arbeite im Home Office, und in der anderen Woche ist er bei seinem Vater, der auch wissenschaftlich tätig ist. Also ich arbeite hauptsächlich eben mit meinem Computer, habe meine Besprechungen, und meistens ist das auch zeitlich ganz gut zu koordinieren. Wir achten auch in der Gruppe darauf, wie Termine gelegt werden. Was jetzt eher mal ein Konflikt ist, ist, dass ich Veranstaltungen habe, also eher im Sinne von Fortbildung, Weiterbildungsveranstaltungen, die dann bis in den späten Nachmittag gehen. Aber da muss ich auch sagen, da mein Kind halt jetzt schon relativ groß ist, ja, dann geht er halt mal mit zu Freunden. Meine Mutter kommt oft auch zu uns. Also ist es eigentlich bisher nicht so problematisch gewesen.

Stefanie Seltmann: Herr Kircher, Sie haben zwei Kinder und einen Mann. Wie teilen Sie sich die Erziehungsarbeit auf?

Martin Kircher: Also unsere Aufteilung ist sehr gleichmäßig. Wir sind beide Vollzeit beschäftigt und auch nicht in der Nähe unserer Familien. Das heißt, wir müssen es zwangsläufig so aufteilen zwischen uns. Wir haben das auch gleich mit der Elternzeit so gemacht, dass wir im Zwei- bis Dreimonatsrhythmus gewechselt haben. Und seitdem die Kinder in die Kita gehen, wechseln wir uns ab, wer an welchen Tagen reinbringt. Also normalerweise bringe ich ein zwei Tagen rein, er an drei Tagen. Wir haben auch einen Sohn, der frühkindliche Förderung braucht, und haben da an zwei Tagen in der Woche noch Logopädie und Ergotherapie. Da wechseln wir uns auch ab, dass immer einer ihn reinbringt. Also das versuchen wir sehr gleichmäßig zu machen. Dadurch, dass es Zwillinge sind und Zwillingsjungs, sind die halt auch recht kompetitiv miteinander. Das heißt, wir versuchen, auch am Wochenende dann die Chance zu nutzen, sie tatsächlich mal zu trennen, dass einer mit ihm einkaufen geht, der andere mit ihm kocht. Ja, und ansonsten versuchen wir unsere Termine gegenseitig abzudecken. Also wenn ich abends noch Telefonate habe mit Kooperationspartnern, dann muss mein Mann gucken, dass er Zeit hat. Und wenn er laufen gehen will, habe ich halt die Kinder. So teilen wir uns das ein.

Stefanie Seltmann: Karin Höhne, sind das zwei typische Beispiele aus dem Leben von Wissenschaftlern mit Familien?

Karin Höhne: Na ja, das ist ein bisschen die Frage, was typisch ist. Also wenn man sozusagen sich die Zahlen anguckt, ist es im Grunde schon fast untypisch, dass es Menschen in der Wissenschaft sind, die Kinder haben, weil besonders im Mittelbau einfach ein ganz großer Teil zwar einen Kinderwunsch hat, aber kinderlos bleibt, weil es sozusagen aufgrund der Rahmenbedingungen schwierig ist, Familie zu leben und Familienwünsche zu erfüllen. Und ansonsten kann man wahrscheinlich nur sagen, dass jede Familie individuell ist in ihrem Setting, wer hat mit wem Kinder, wie viele Kinder, mit welchen Bedürfnissen, wer war schwanger oder auch nicht. Also insofern sind das sicherlich zwei Beispiele, aber inwiefern man das als typisch bezeichnen kann, wage ich gar nicht so zu beurteilen.

Stefanie Seltmann: Sie haben schon gesagt, eine größere Anzahl von Wissenschaftlern wagt erst gar nicht den Schritt, eine Familie zu gründen. Können Sie da konkretere Zahlen nennen? Und warum wagen sie es denn nicht? Womit kämpfen denn die meisten Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen, wenn sie eine Familie gründen wollen?

Karin Höhne: Das ist ganz interessant, was die Zahlen betrifft, weil wir da eine große Lücke haben. Es gibt ganz wenige verlässliche und regelmäßig erhobene Zahlen über Elternschaft in der Wissenschaft. Eine Zahl aus dem letzten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs aus dem Jahr 2021 hat festgestellt, dass bei dem promovierten Personal die Hälfte der Menschen keine Kinder hat. Bei den Frauen ist die Zahl sogar noch mal ein bisschen höher. Und grundsätzlich ist es so, dass Wissenschaftler*innen häufiger kinderlos sind als Gleichaltrige in anderen Branchen. Und auf der Ebene der Professuren ist es so, dass eher die Professorinnen kinderlos bleiben. Da sind es laut dem BuWiN 2021 fast 50 Prozent der Professorinnen, die keine Kinder haben. Bei den Professoren sind es nur 25 Prozent. Also die erfüllen sich dann oft ein bisschen später ihren Kinderwunsch in der wissenschaftlichen Karriere.

Stefanie Seltmann: Fällt auch nicht die Familiengründung häufig in eine Zeit, in der man gleichzeitig Karriere machen möchte und genau diese Zeit in der Wissenschaft besonders herausfordernd ist, auch zeitlich herausfordernd ist? Wie war das denn bei Ihnen, Herr Kircher?

Martin Kircher: Ja, das stimmt schon. Aber der Kinderwunsch kommt ja wahrscheinlich so in den Mittzwanzigern bei den meisten dann so das erste Mal. Und in den Dreißigern ist man dann so an dem Punkt, dass man sagt: Jetzt müsste es aber passieren, wenn es passieren soll. Ende der 20er ist man ja typerweise in der Promotion. Das war jetzt bei mir sogar noch zu einem Zeitpunkt, wo in Deutschland überwiegend Stipendien ausgegeben wurden, also überhaupt auch keine finanzielle Sicherheit ist, wo man weiß, wenn die Stelle zu Ende ist, dass man auch zum Beispiel kein Arbeitslosengeld 1 bekommen würde. Also das ist, glaube ich, so eine Unsicherheit, dass sich viele dann nicht entscheiden, da eine Familienplanung zu haben, geschweige denn zu dem Zeitpunkt unbedingt feste Partnerschaften haben müssten, die das erlauben würden. Dann ist das Typische, dass man, glaube ich, ja so eine Post-Doc-Phase hat, die nach Möglichkeit auch im Ausland sein sollte. Also wir sind in die USA gegangen. Das hat an unserer Beziehung auch erstmal ganz schön geruckelt. Da gehen bestimmt auch andere Beziehungen einfach kaputt. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass dann der Partner sagt: ich stelle meine Karriere hintenan, und ich komme jetzt einfach mal mit. Und es gibt ja auch oft so Konstruktionen, gerade in unserem Umfeld kann es sein, dass jemand in der Beziehung klinisch zum Beispiel ausgebildet ist oder juristisch oder so, wo halt die Abschlüsse überhaupt nicht transferierbar sind zwischen Ländern, wo man dann halt gar nicht wüsste, was man da macht. Und dann kann man überlegen, ob man zu diesem Zeitpunkt dann vielleicht Kinder bekommt. Allerdings auch dann wieder in diesem rein Dominant-Modell: Einer hat den Job, der andere ist zu Hause und kümmert sich um die Kinder. Danach kommt man zurück, hat eine Gruppenleitung, und eigentlich ist man wieder in der Profilierungsphase. In der Zwischenzeit sind nochmal zehn Jahre nach der Promotion rum, bevor überhaupt die Chance auf eine unbefristete Stelle besteht. Und ich bin jetzt der Falsche, um da unbedingt über die Situation von Frauen zu reden, aber das ist dann halt doch schon relativ alt, um das erste Mal Mutter zu werden.

Stefanie Seltmann: Und diese finanzielle Sicherheit, die spielt schon auch eine Rolle bei der Familiengründung, dass man die doch schon haben möchte, bevor man sich das wagt?

Martin Kircher: Klar. Und die hat man ja nicht. Also wie gesagt, ich hatte ein Promotionsstipendium, hatte dann ein Jahr Anschlussfinanzierung. Klar, da hat man mal eine Stelle, die das erste Mal richtig zahlt. Man hat davor eigentlich das Studium, hat nie ein regelmäßiges Einkommen gehabt. Aber das ist natürlich immer noch nicht die Situation, dann zu sagen: Okay, jetzt Familiengründung.

Stefanie Seltmann: Frau Collazo, wie war das bei Ihnen?

Anja Collazo: Also ich hatte ja mein Kind bekommen nach dem Bachelorstudium. Also ich bin ja noch relativ jung. Und dadurch war eigentlich nicht so viel Stress auf mir. Wir hatten damals ein relativ traditionelles Modell im Sinne davon, dass mein Partner gearbeitet hat, damals nicht im wissenschaftlichen Bereich, sondern im klinischen Bereich. Das war sehr viel stressiger. Also er hat sich auch jetzt aktiv für die Wissenschaft entschieden, weil er einfach auch für sich selbst jetzt der Meinung ist, dass das besser mit Familie zu vereinbaren ist. Also finde ich auch interessant, mit wem man sich dann vergleicht im Fall. Ja, ansonsten, während des Studiums war das eben auch keine Selbstverständlichkeit, dass man studiert mit Kind. Obwohl ich finde, dass es viele Vorteile hat. Also man ist recht gefestigt, man hat seinen Alltag, man hat auch Abwechslung mit dem Kind vom Studium. Aber leider ist halt manchmal die Toleranz nicht so da, Veränderungen einfach mal mitzugehen, zum Beispiel Seminargruppen zu wechseln oder eben Termine so zu legen, dass das okay ist. Glücklicherweise, also ich war hier an der Berlin School of Public Health an der Charité, wo das alles in die Kernzeiten gefallen ist, die ganzen Veranstaltungen. Ich denke, auch sehr bewusst. Und dadurch hatten wir auch relativ viele Mütter im Studiengang. das ist auch eine Frage der Gestaltung und wie das vor allem Frauen vermittelt wird im Studium, ob das eine Möglichkeit ist. Und dadurch war mein Kind nach meinem Masterstudium schon relativ groß und eben auch schon relativ stabil. Also für mich gibt es jetzt nicht mehr die ständigen Ausfallsituationen durch Krankheit oder so. Ich glaube, das ist echt nochmal sehr anders, als wenn man jetzt eine Schwangerschaft und ein Kleinkind hat. Also wie gesagt, ich war fast zwei Jahre mit dem Kind zu Hause. Aber die Zeit läuft halt weiter, und man wird eben dann anders beurteilt, wenn man dann später erst mit dem PhD anfängt. Ja, aber ich hoffe einfach, dass sich da auch im Mindset ein bisschen was ändert in Bezug darauf, was es heißt, wissenschaftlich arbeiten zu können. Das hat ja erst mal nichts mit Alter zu tun.

Stefanie Seltmann: Frau Höhne, wie sieht das denn generell aus, womit kämpfen die jungen Leute, wenn sie sich überlegen, Kinder zu bekommen? Und welche Überlegungen spielen da eine Rolle?

Karin Höhne: ich glaube, dass in der Wissenschaft genau die Punkte, die eben angesprochen wurden, eine große Rolle spielen. Also diese hohe Flexibilität, Mobilität, die gefordert wird, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, oft kurze Vertragslaufzeiten, Teilzeitstellen, wo nicht klar ist, wo bin ich in einem Jahr, wo bin ich in zwei Jahren. Auch natürlich der große Druck zu publizieren, immer aktuell auf dem laufenden Stand zu bleiben. Alle anderen ziehen an einem vorbei, wenn man vielleicht Auszeiten und Pausen nimmt. Das und viele weitere Faktoren sind, glaube ich, ein Druck, der größer ist als in anderen Branchen. Was dann vielleicht auch ein bisschen erklärt, warum sich unter diesen Bedingungen viele Menschen erst mal gegen die Erfüllung ihres Kinderwunsches entscheiden. Und um das noch mal eine Ebene höher zu heben: Was auch noch dazu kommt in der Wissenschaft, ist, dass das System Wissenschaft von einem frei verfügbaren Menschen ausgeht, der keinerlei Sorgeaufgaben übernimmt für andere und der hundert Prozent und 24 Stunden am Tag am besten sich der Wissenschaft widmen kann und ganz im Geiste lebt. Und Elternschaft ist natürlich genau das Gegenteil. Man muss immer auf wechselnde Bedürfnisse reagieren, man muss für andere da sein, kann eben nicht hundert Prozent verfügbar sein. Und auf der Systemebene widersprechen sich diese zwei Systeme. Und das gilt es irgendwie in Einklang zu bringen und miteinander zu verbinden.

Stefanie Seltmann: Herr Kircher, Sie haben gerade den Ruf auf eine Professur erhalten in Lübeck. Sie haben es also geschafft trotz/mit Familie? Wie ist Ihnen das geglückt?

Martin Kircher: Das ist eine interessante Frage: Wie ist das geglückt? Na ja, indem man einerseits natürlich genau das macht, was von einem irgendwie erwartet wird.

Stefanie Seltmann: Wenig Schlaf vielleicht.

Martin Kircher: Natürlich, die normalen unruhigen Jahre mit kleinen Kindern. also einerseits, indem man die Erwartungen erfüllt, dass man seine Postdoc-Jahre im Ausland hatte, dass man Kontakte, Kooperationen dort auch wieder mit zurückbringt, dass man publiziert und all das. Also darauf läuft es am Ende hinaus. Wie schafft man es mit Kindern? Indem man eine starke Partnerschaft oder Familie hat, die auch helfen.

Stefanie Seltmann: Bietet die Wissenschaft da auch Chancen, weil man eben seine Paper vielleicht auch nachts zu Hause schreiben kann und nicht dafür unbedingt ins Büro muss?

Martin Kircher: Ich weiß nicht, ob man sie nachts schreiben möchte.... wenn die Kinder im Bett sind, ich habe fast jeden Abend noch eine Telefonkonferenz, weil meine Kooperationspartner halt in einer Zeitzone mit neun Stunden Zeitverschiebung sind. Das stresst natürlich die Beziehung. Also ich glaube nicht, dass das das Ziel sein sollte, alles, was dann Flexibilität ist, greift eigentlich auch in diese Räume rein, die ich vielleicht auch brauche, um meine Partnerschaft oder meine Familie zu erleben. Also da bin ich sehr vorsichtig, was diese Freiräume angeht. Wir haben auch Reiseverpflichtungen. Die waren jetzt die letzten zwei Jahre weg.

Stefanie Seltmann: Da war Corona ein Vorteil?

Martin Kircher: Ja. Aber ich bin jetzt die nächsten drei Monate jeweils eine Woche in den USA, weil Veranstaltungen jetzt auch nachgeholt werden, die schon drei Jahre geplant sind.

Stefanie Seltmann: Und was würde passieren, wenn Sie da nicht hinfahren?

Martin Kircher: Also es funktioniert, Kontakte aufrechtzuerhalten, die man vorher etabliert hat, Kooperationen, Menschen, die man vorher kannte, das aufrechtzuerhalten, das funktioniert online. Aber ich lerne tatsächlich online keine neuen Leute kennen.

Stefanie Seltmann: Und das ist wichtig in der Wissenschaft?

Martin Kircher: Ja, also eine Kooperation neu aufzubauen, ist superwichtig. Und auch die Chance haben, nach einem Vortrag auf dem Gang mit jemandem zu reden, abends bei einem Getränk mit jemandem zu sitzen und in etwas entspannter Atmosphäre zu gucken, wo man wissenschaftlich überlappt, was man gemeinsam machen könnte, das ist superwichtig. Und dafür muss man am Ende reisen, und das muss auch irgendwie gehen. Und es gibt auch viele Veranstaltungen, die aufs Wochenende gelegt werden. Also gerade dieser Übergang zum Klinischen, da ist es eine gewisse Selbstverständlichkeit, dass Sachen eher auf die Wochenenden kommen oder eher außerhalb der Patientensprechstunden. Das ist natürlich super familienunfreundlich.

Stefanie Seltmann: Frau Collazo, wie ist das bei Ihnen?

Anja Collazo: Im Moment ist eine Konferenz geplant, eine Summer School, an der ich teilnehmen möchte. Das fällt aber in die Woche, in der ich mit meinem Sohn sowieso nicht zusammen wäre. Von daher ist das ganz praktisch. Ich muss aber sagen, dass ich allgemein ein bisschen eine andere Attitüde dazu habe. Also ich gebe sehr viel eigentlich ab. Ich war auch mal zwei Monate in USA für meinen Master damals, für meine Masterarbeit. Damals ist er komplett bei seinem Vater geblieben. Man muss dazu sagen, mein Expartner ist eine Person, die sehr engagiert ist für seinen Sohn und der mir auch immer vermittelt hat: Du kannst machen, was du willst, unser Sohn, das ist auch gut, wenn er bei mir bleibt, und das ist auch okay. Also wir hatten nicht oft diese Schuldzuweisungen innerhalb unserer Partnerschaft. Und auch innerhalb der größeren Familie ist sehr viel Bereitschaft zu sagen: Ja, gib mir bitte mal mein Enkelkind, ich möchte gern mit dem in den Urlaub. Also es ist sehr viel Engagement von der Familie. Das geht so weit, dass mir gesagt wurde: Ja, also wenn es gar nicht geht mit deinem Masterstudium, der kann bei uns wohnen. Also es ist eine sehr große Bereitschaft da und immer diese Vermittlung von: Das schaffen wir irgendwie. nicht: Das ist jetzt die Katastrophe, wenn du nicht da bist am Wochenende. Oder: Das ist jetzt ganz schlimm für das Kind. Ich bin auch in einem Drei-Generationen-Haushalt aufgewachsen und kenne das selbst so, dass ich sehr viel bei meinen Großeltern aufgewachsen war und das auch nie irgendwie schlimm fand.

Stefanie Seltmann: Muss man sich auch verwahren gegen das schlechte Gewissen, das in einem selbst wächst oder das einem möglicherweise von der Umgebung, anderen Müttern in der Kita oder Vätern entgegengebracht wird?

Anja Collazo: Ja, also finde ich schon. man muss schon gute Gründe haben dafür, was man machen möchte. Und für mich war das mit der Masterarbeit damals eben eine große Chance. Und das hat sich dann auch widergespiegelt, dass eben was Gutes dabei rumgekommen ist. Ich habe dafür einen Preis bekommen später. Auch für spätere Einstellungsgespräche war das natürlich von Vorteil, so eine Erfahrung vorzeigen zu können. Aber ich habe dafür auch in Einstellungsgesprächen Kritik bekommen. Also in die Richtung: Wie konnten Sie das machen mit Ihrem Kind? Und also das finde ich halt einfach ... muss man in Frage stellen, ob das so schlimm ist. Ich denke, wenn man das von Anfang an ein bisschen mehr auch loslässt und gar nicht immer sich als einzige Bezugsperson versteht, dann fällt das auch mit der Zeit nicht mehr so schwer. Und die Kinder sind ja dann sowieso auch ein bisschen unabhängiger.

Karin Höhne: Und der spannende Aspekt an dem Beispiel ist ja jetzt auch, dass das natürlich eine Frage ist, die Müttern in der Wissenschaft oder Müttern in unserer Gesellschaft viel eher gestellt wird und wo sie sich damit auseinandersetzen müssen. Wie du sagst: harte Kritik an deinem Lebensmodell, an deiner gewählten Rolle und Beziehung zu deinem Kind und so. Das ist ja dann auch was, was eben gerade die Mütter, zum Teil auch Väter, aber im Gros sozusagen viel eher die Mütter auch in der Wissenschaft erleben: diese Zerrissenheit zwischen den Erwartungen, wie hat eine Mutter zu sein und wie hat eine Wissenschaftlerin zu sein. Und man muss sich dann immer entscheiden, verbringe ich jetzt Zeit mit meinem Kind, erfülle ich die gesellschaftlichen Rollenerwartungen, die ich ja auch selber irgendwie vielleicht habe und leben möchte, oder mache ich alles, was in der Wissenschaft von mir erwartet wird und vernachlässige die andere Seite wieder. Also dieses Dilemma auch irgendwie aufzulösen, ist, glaube ich, eine gar nicht so leichte Aufgabe.

Stefanie Seltmann: Herr Kircher, kamen Ihnen schon Vorwürfe von wegen Rabenvater entgegen?

Martin Kircher: Nein, also den Rabenvater, den gab es noch nicht. Aber ich habe die umgekehrte Erfahrung gemacht, weil: tragen Sie mal als Mann ein wenige Wochen oder Monate altes Kind durch die Gegend und achten Sie mal drauf, wie oft Sie gefragt werden, wo die Mutter ist. Wenn Sie in irgendein Geschäft reingehen, heißt es dann: Schläft die Mutter gerade? Oder Sie sind halt in der U-Bahn unterwegs, und es ist total unvorstellbar, wie die Mutter dieses Kind einfach dem Vater überlassen konnte. Da spiegelt sich natürlich auch auf gewisse Art und Weise eine unheimliche gesellschaftliche Erwartung wider und auf der anderen Seite halt auch das Bild, dass der Mann eigentlich gar nicht in der Lage ist, das zu tun. Das habe ich erlebt.

Stefanie Seltmann: Man würde ja erwarten, dass das in der Wissenschaft vielleicht ein bisschen anders ist. Ist da ein größeres Verständnis für diese Rolle, dass man eben auch das Kind mal zuhause lässt oder bei der Großmutter betreuen lässt? Ist man da aufgeklärter und moderner? Oder ist die Wissenschaft genauso konservativ wie die restliche Gesellschaft, was das Aufteilen der Kinderarbeit angeht?

Martin Kircher: Also ich glaube, da findet so ein bisschen der Generationswechsel gerade statt. Also das ist jetzt was, was mir Freunde berichtet haben, wo sie die Ersten waren, die in ihrer Arbeitsgruppe Elternzeit genommen haben als Mann, und der Chef dann so meinte: Ja, das hätte ich mir damals ja nicht vorstellen können. Aber danach das halt dann auch gut war und das dann halt auch andere Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe später gemacht haben. Also da ist, glaube ich, schon eine Veränderung drin.

Stefanie Seltmann: Wenn Sie als Arbeitsgruppenleiter oder jetzt als Professor sich vorstellen, Sie sind an einem ganz interessanten Projekt dran und haben da drei Doktoranden drauf gesetzt, und die werden jetzt schwanger oder gehen in Elternzeit und setzen aus, und das Projekt wird nicht weiterverfolgt, können Sie da schon auch so ein bisschen die Seite des Wissenschaftlers oder des wissenschaftlichen Mentors, des Chefs verstehen, der dann sagt: Hm, Mist, jetzt überholt uns die Konkurrenz, weil bei uns das Projekt stehenbleibt? Ist Ihnen das auch schon vorgekommen?

Martin Kircher: Ja, also jetzt überholt uns die Konkurrenz ist immer so, glaube ich. So wichtig kann die Forschung an vielen Stellen dann nicht sein, dass es nicht auf diese paar Monate ankommt, dass die nicht kompensiert werden könnten oder dass man da nicht jemanden findet, der da mithilft und dass es dann irgendwie ausgeglichen werden kann. Mein Postdoc hat jetzt auch sieben Monate Elternzeit genommen. Und ich finde das für ihn eine ganz tolle Sache. Klar haben wir das als Lab gespürt. Also wir haben halt nur einen Postdoc und der Rest sind Doktoranden. Natürlich merke ich, wenn die Person nicht da ist. Aber es ist ganz natürlich, dass er das macht, und ich habe da vollstes Verständnis.

Stefanie Seltmann: Haben Sie das, weil Sie auch selbst Vater sind? Haben das andere Kollegen von Ihnen, die diese Erfahrung selbst nicht gemacht haben, auch?

Martin Kircher: Das kann ich nicht so einschätzen. Aber die Kollegen, mit denen ich jetzt rede und die natürlich selber auch Kinder haben, für die ist das auch eine Selbstverständlichkeit. Ich sehe oft auch dieses ganz klassische Modell in Deutschland, diese 14-Monatsstrategie, also der Vater nimmt den ersten und den letzten Monat mit gemeinsam, das sehe ich natürlich auch, dieses Minimalkonzept. Aber ich finde es super, wenn das gleichberechtigter ist.

Karin Höhne: Die spannende Frage für mich in der Wissenschaft ist auch noch mal eine andere, weil wir einfach so oft gar nicht darüber sprechen, dass Menschen ein Privatleben haben, dass Menschen Familie haben, ihre Mutter pflegen, Kinder haben, vielleicht auch einfach sich um sich selbst kümmern müssen, weil es ihnen nicht gutgeht aus irgendwelchen Gründen. Und das, finde ich, passiert in der Wissenschaft immer noch viel zu wenig. Wir haben zum Beispiel jetzt gemerkt in Vorbereitung auf den Termin, wie viele gar nicht wollten, dass ihr Privatleben mit ihrem professionellen Dasein als Wissenschaftlerin, als Wissenschaftler verknüpft wird, also wie sehr diese Sphären noch getrennt werden. Und ich glaube, da müssen wir dran arbeiten, dass es einfach dazugehört, dass ich mal bestimmte Phasen in meinem Leben habe, wo ich vielleicht ein bisschen weniger produktiv bin, weil ich mich kümmern muss, weil es andere Themen in meinem Leben gibt, weil ich vielleicht mal krank werde. Und dass das dazu gehört und uns vielleicht auch sogar wissenschaftlich weiterbringt, weil wir andere Fragestellungen haben, einen anderen Blick auf die Welt, der uns dann auch in unserem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn weiterhilft und uns weiterbringt.

Anja Collazo: Für mein Kind persönlich finde ich es eigentlich gut, dass er auch mitbekommt, dass eben auch ... als Frau, dass man halt auch bestimmte Themen bearbeitet, dass man vor Gruppen spricht. Also ich versuche, ihm manchmal ein bisschen zu erzählen, was ich mache, obwohl das für ihn sehr abstrakt ist. Wir arbeiten ja viel mit Daten und Simulationen und so, das ist nun nicht so einfach runterzubrechen. Aber zum Beispiel diese Themen, dass ich eben auch mal vor einer Gruppe sprechen muss, dass ich irgendwas vorbereite und dass ich da auch mal aufgeregt bin und dass mir da auch jemand Fragen stellt und so, das thematisieren wir durchaus. Und ich glaube schon, dass er da auch ein Stück weit dann stolz ist. Weil das muss man ja auch sehen: Bei einem fast Siebenjährigen fangen dann halt auch schon langsam so die Stereotype an im Sinne: Was machen Frauen im Alltag und so? Und da bin ich doch ganz froh, dass ich da mal so ein bisschen dagegen pushen kann als persönliches Beispiel.

Stefanie Seltmann: Herr Kircher, wie ist das bei Ihnen, wie viel Wissenschaft kommt in die Erziehung mit rein?

Martin Kircher: Das ist auch eine sehr gute Frage. Man kann natürlich diese persönlichen Charaktereigenschaften nicht so trennen, die man so hat. Und natürlich gibt es an einigen Stellen ein sehr methodisches Vorgehen und man liest halt Sachen. Wenn irgendwelche Probleme auftauchen, guckt man mal, ob dazu was publiziert wurde. Man geht nicht unvorbereitet zu einem Arzt. Also da ist man so ein bisschen zu sehr Wissenschaftler. Das merken auch die Kinder auch natürlich an Antworten, die man gibt, wo man immer wieder sich bemüht, die Komplexität dieses Themas darzustellen, die die Kinder vielleicht gar nicht mehr wollen. Also wir hatten auch schon Situationen, wo das Kind von der Frage sozusagen zurücktritt und das ...

Stefanie Seltmann: So genau wollte ich es gar nicht wissen?

Martin Kircher: Genau, das Interesse an der Antwort verliert. Und das jetzt bei einem Viereinhalbjährigen. Ja, da muss man manchmal ein bisschen vorsichtig sein. Die finden es natürlich spannend, die Arbeitssituation und auch dass ich sozusagen oder auch mein Mann von jedem Punkt der Welt aus arbeiten kann. Das ist natürlich auch was Merkwürdiges.

Stefanie Seltmann: Frau Höhne, vielleicht können Sie es mal zusammenfassen: Welche Voraussetzungen müssen denn gegeben sein, damit die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie gelingen kann? Was kann ein Arbeitgeber auch dazu tun, damit das gelingen kann?

Karin Höhne: Ich glaube, es ist wichtig, an verschiedenen Stellen anzusetzen. Grundsätzlich braucht es eine Kultur, die signalisiert: Es ist okay, Familie zu haben, sich vielleicht auch mal Zeit zu nehmen und dafür an einer anderen Stelle wieder aktiver sein zu können. Aber ich glaube, dass man sowohl auf individueller Ebene eine Antwort finden muss und die Person in der Situation, in der sie ist, und auch in der Gesellschaft Unterstützung bekommt und sagt: Es gibt Nachteilsausgleiche, wenn man Richtung Studierende oder PhD Students denkt. Es gibt Möglichkeiten, in Teilzeit zu arbeiten, flexibel zu arbeiten, von verschiedenen Orten aus zu arbeiten. Also individuelle Antworten zu finden. Aber gleichzeitig auch zu versuchen, die Strukturen zu verändern und zu sagen: Wir verlängern vielleicht Stellen, die sonst auslaufen würden, oder wir vergeben Verträge, die verlässlich sind und wo man auch eine Familie planen kann und wo man weiß, man kann wieder zurück, man kann eine Auszeit nehmen, man kann auch wiederkommen. Also auch an solchen Stellschrauben zu drehen, um auch auf einer größeren strukturellen Ebene etwas zu verändern und nicht immer nur so im Klein-Klein zu reagieren, sondern vielleicht auch proaktiv die Dinge zu verändern.

Stefanie Seltmann: Es gibt kleine Dinge wie zum Beispiel eine Kinderbetreuung anzubieten bei Kongressen, bei Veranstaltungen, bei Symposien. Und es gibt große Dinge, dass man darüber nachdenkt, diese ewige Verlängerung von Dreimonatsstellen wirklich mal anzugehen. Wo stehen wir denn da im Moment? Was würden Sie sagen, wie weit sind wir da schon gekommen? Ist jetzt eine gute Zeit, um auch Familie und Wissenschaft vereinbaren zu können? Oder braucht es da noch?

Karin Höhne: Im deutschen Wissenschaftssystem?

Stefanie Seltmann: Ja.

Karin Höhne: Na ja, ich könnte jetzt überspitzt sagen: Als Vater sind wir da recht weit. Für Mütter sieht die Situation ein bisschen anders aus. Gerade die Pandemie hat ja gezeigt, dass die Probleme, die immer noch da sind, wie unter einem Brennglas verschärft wurden und die Publikationstätigkeiten besonders von Müttern zurückgegangen sind, die Drittmitteleinwerbungen bei Frauen mit Kindern zurückgegangen sind. Also dass wir da durchaus noch nicht dort sind, wo wir eigentlich hinwollen, sondern dass es schon eine ganze Menge gibt, woran wir arbeiten müssen. klar, es ist bestimmt besser als vor 50 Jahren, es gibt viel mehr Bewusstsein, es gibt all diese Angebote, über die wir eben auch gesprochen haben. Aber gleichzeitig, wenn man sich umhört und auch Menschen in der Wissenschaft fragt, die Kinder haben, vielleicht auch besonders Mütter fragt, und das kann man nachlesen auf verschiedenen Plattformen, im Internet oder in Publikationen, ist die Situation schon noch ziemlich arg und die Belastungsgrenze sehr weit nach oben verschoben. Und ich glaube, das ist kein guter Zustand. Also da haben wir schon noch einiges vor uns, um das besser hinzukriegen.

Anja Collazo: Ich denke, es ist für viele verängstigend, dass man in Deutschland auch nicht wirklich die Wahl hat, wie lange man zuhause bleibt, nachdem man ein Kind bekommen hat. Also die Krippenplatzsituation ist erschreckend in vielen Teilen und sehr verunsichernd. Also ich kenne viele, auch zum Beispiel eine Kollegin jetzt, die schwanger ist, also das ruft ganz viele Ängste hervor, dass man gar nicht weiß, wie es weitergeht, weil jeder weiß: Oh, da muss ich mich sofort anmelden. Und für mich war es ja auch so, dass ich keinen Krippenplatz bekommen habe nach einem Jahr. Das ist total frustrierend, weil es gibt so eine selbstverständliche Haltung in Deutschland, dass Frau natürlich auch arbeitet, das ist ganz normal. Aber dann die Umsetzung ist halt einfach nicht so gut an vielen Stellen. Und ich persönlich wüsste zum Beispiel auch nicht, würde ich jetzt nochmal zwei Jahre zuhause bleiben wollen aus verschiedenen Gründen. Vielleicht nicht, vielleicht lieber Teilzeit. Aber gibt es denn dafür Möglichkeiten? Eigentlich auch nicht so viele. In anderen Ländern geht das. Ich war wie gesagt in den USA. Die ganzen Kolleginnen dort waren alle nur drei oder vier Monate zuhause und fanden das total erstaunlich, wie man so lange überhaupt zu Hause bleiben kann, das ist doch langweilig und so weiter. Also dieser Perspektivwechsel ist manchmal echt faszinierend, weil man so merkt, in welchen Strukturen, also wie das alles so vorgegeben ist in dem Setting, in dem man ist. Und eigentlich fände ich, es sollte für jeden einfach eine Möglichkeit geben, das zu tun, mit dem er/sie sich halt wohlfühlt. Und wenn das heißt, nach drei Monaten will ich wieder Vollzeit da sein, ist das legitim. Das machen Männer ja übrigens auch viel. Und wenn jemand sagt jetzt wie ich zum Beispiel: Ich habe mich da auch wohlgefühlt, ein Jahr mit dem Kind zu Hause, ich fand das auch richtig für mich und für ihn, dann sollte das auch akzeptiert sein. Das ist doch am Ende meine familiäre Situation und meine ganz persönliche Entscheidung, meine Familie. Aber diese Rahmenbedingungen sind eben nicht da. Und die verunsichern extrem.

Stefanie Seltmann: Das ist allerdings dann kein wissenschaftsspezifisches Problem, wenn es die Kitaplätze nicht gibt, wobei das vielleicht in der Wissenschaft besonders dramatisch ist.

Anja Collazo: Ja, es gibt halt in der Wissenschaft schon größeren Druck, würde ich denken, wieder einzusteigen zumindest in Teilzeit, weil halt, wie Sie schon meinten: Die Projekte laufen weiter, man hat vielleicht eine Finanzierung über einen bestimmten Zeitraum, man sitzt gerade noch an der und der Publikation. Eine Schwangerschaft lässt sich ja jetzt auch nicht komplett planen. Also da gibt es noch andere Probleme, die ich schon bei anderen Jobs nicht so sehe.

Stefanie Seltmann: Was ist denn Ihre Botschaft an die jungen Leute, die sich darüber Gedanken machen, eine Familie zu gründen?

Anja Collazo: Also meine Botschaft wäre, dass man das auf jeden Fall tun sollte, wenn man eine entsprechende Partnerschaft hat und die Bedingungen hat dafür. Weil ich glaube, das ist einfach im Nachhinein doch sehr traurig, wenn man sich dann nicht dafür entschieden hat, wenn das so ein inniger Wunsch war. Auch wenn dann vielleicht die Karriere nicht so läuft, wie man dachte, hat man ja auf der anderen Seite was für sich geschaffen. Wenn ein starker Kinderwunsch da ist, dann finde ich auch, dass unsere Bedingungen letztendlich trotzdem auch gut sind und man vielleicht an der einen oder anderen Stelle eben auch in eine Verhandlung gehen muss, vielleicht schon Sachen vorher besprechen sollte, auch mit der Gruppe sich austauschen sollte, welche Möglichkeiten gibt es, aber dass man sich dann nicht von seiner Angst leiten lassen sollte zu sehr.

Stefanie Seltmann: Herr Kircher, was wäre Ihre Botschaft an junge Menschen, die in der Wissenschaft tätig sind, die vielleicht gerade ihre Doktorarbeit machen und darüber nachdenken, eine Familie zu gründen?

Martin Kircher: Ja, vielleicht nicht zu lange zu warten. Also wirklich das so früh wie möglich zu machen. Ich finde das Modell eigentlich während des Studiums ganz toll, also wenn das möglich ist. Wenn man vielleicht sogar in der Nähe der Heimat ist und Familie da hat, die Unterstützung bieten kann, dann ist das ja vielleicht ein ganz tolles Konzept. Ja, ansonsten kann ich, glaube ich, wirklich nur sagen: Nicht so lange warten. Es gibt keinen idealen Zeitpunkt.

Stefanie Seltmann: Aber Familie und Wissenschaft, das geht?

Martin Kircher: Das geht, ja. Man muss es wollen, und dann geht das.

Stefanie Seltmann: Frau Höhne, Was ist Ihre Botschaft zum Schluss?

Karin Höhne: Ich würde mir wünschen, dass es in der Wissenschaft viel normaler wird, dass wir über Fürsorge sprechen, dass wir Privates zulassen und nicht so sehr auf diesen Ruf als Wissenschaftlerin, Wissenschaftler, geistige Menschen beharren, sondern uns auch viel, viel mehr Raum dafür geben, dass es auch noch ganz andere Dinge in unserem Leben gibt, die uns ausmachen als Person und genauso einen Platz haben in dem beruflichen Umfeld Wissenschaft. Das wäre, glaube ich, eine gute Voraussetzung, um voranzukommen und das zu normalisieren, dass wir uns alle umeinander kümmern müssen, dass wir alle davon abhängig sind, dass sich auch mal irgendwann in unserem Leben jemand um uns kümmert, egal ob wir Mütter sind, Väter sind oder wie auch immer, sondern dass das einfach dazugehört auch zum Dasein und eben auch zum Dasein als Wissenschaftler*in.

Stefanie Seltmann: Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Dr. Martin Kircher, Dr. Anja Collazo und Karin Höhne sprachen über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Wissenschaft. Falls auch Sie eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an: podcast@bih-charite.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal, sagt Stefanie Seltmann.