Aus Forschung wird Gesundheit.
BIH_Podcast_38_Wie bedrohlich ist Long COVID?
Interviewpartner: Prof. Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefektambulanz am Institut für Medizinische Immunologie der Charité.
Seltmann: Herzlich willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann.
Seltmann: Heute bin ich zu Gast bei Professorin Carmen Scheibenbogen, der Leiterin der Immundefektambulanz am Institut für Medizinische Immunologie der Charité. Mit ihr möchte ich heute über ein neues Krankheitsbild sprechen, das Long COVID Syndrom, das sind langfristige Krankheitszeichen nach einer Infektion mit dem Coronavirus. Guten Tag, Frau Professor Scheibenbogen.
Seltmann: Frau Professor Scheibenbogen, was ist Long-COVID? (Symptome)
Carmen Scheibenbogen: Long COVID ist erstmal nur ein Überbegriff für alle Menschen, die nach einer Infektion anhaltende Symptome über vier Wochen hinaus haben. das sind ganz unterschiedliche Symptome, das sind Menschen, die milde Beschwerden noch haben, sei es, dass sie noch nicht wieder so leistungsfähig sind, die bekannten Geschmacksstörungen. Es können Menschen sein, die noch Muskelschmerzen haben oder Beschwerden, die sie auch während der Infektion hatten, also so was wie Hustenreiz oder Atemprobleme. Und wir wissen, dass das bei vielen auch zurückkommen kann in den nächsten Wochen. Wir haben aber auch gelernt, dass es auch Betroffene gibt, die doch relativ schwere anhaltende Symptome haben, und die können auch über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben. Wir verfolgen ja jetzt Patienten mit Long COVID seit Sommer 2020, also über fast zwei Jahre, und wir sehen, dass ein Teil dieser Betroffenen anhaltend schwer krank sind. Jetzt sehen wir bei uns in der Sprechstunde nicht die Patienten, die bei uns stationär oder auf Intensivstation behandelt waren, sondern wir haben eine Studie, mit der wir uns insbesondere an die Jüngeren wenden, die auch häufig über Symptome klagen wie Fatigue oder Belastungsintoleranz. Und das sind Symptome, die wir auch schon gut kennen von anderen Virusinfektionen. Und bei diesen Erkrankten sehen wir also, dass ein Teil das Vollbild dieses schweren Krankheitsbilds Chronisches Fatigue-Syndrom oder ME/CFS hat. Und diese Menschen verfolgen wir also jetzt seit zwei Jahren und sehen, das sind viele, auch jüngere Patienten, die teilweise auch so krank sind, dass sie nicht mehr in den Beruf zurückkehren können, dass sie teilweise nicht mal ihre Familien noch versorgen können.
Seltmann: Also bei manchen gehen einfach die COVID-Symptome nicht weg, es bleibt die Erkältungssymptomatik bestehen. Bei anderen kommt was ganz Neues hinzu: dieses Long-COVID-Syndrom als Fatigue-Syndrom. Sie untersuchen hier ja auch das Chronische Fatigue-Syndrom. Was genau kann man sich darunter vorstellen? Ist das so eine chronische Müdigkeit, Schlappheit oder was kommt da noch dazu?
Carmen Scheibenbogen: Ja also, das ist ein ganz wichtiger Punkt: Der Name ist ja so ein bisschen suggestiv, Chronisches Fatigue-Syndrom, also das ist eine schwere Fatigue oder Müdigkeit. Aber das ist nur ein Teil dieser Erkrankung. Es ist also eine eigenständige, auch sehr komplexe Erkrankung. Ich vergleiche das immer so: Eine Erkrankung ähnlich wie die Multiple Sklerose, bei der die Erkrankten als Hauptproblem haben die schwere Belastungsintoleranz. Ein Begriff, den man seit COVID auch besser kennt: also das Unvermögen, oftmals nur leichte Alltagsaktivitäten auszuführen. Und wenn man das eben dann doch tut, was man ja oft auch tun muss, dann kommt es meistens zu einer Verschlimmerung aller Symptome. Und diese Verschlimmerung, die merkt man dann auch am nächsten Tag noch. Per Definition muss die also bis zum nächsten Tag anhalten. Das kann zu einem richtigen Crash kommen, dass man tagelang schwerstkrank ist. Und die Symptome, die eben zu dieser Erkrankung immer auch noch gehören, sind schwere Konzentrationsstörungen oder Wortfindungsstörungen. Die Patienten beschreiben das oft als so einen richtigen Gehirnnebel, der eben dann auch schlimmer werden kann bei Belastung. Es gehören immer auch Schmerzen dazu. Also gerade nach COVID haben sehr viele anhaltende Kopfschmerzen, die auch nicht gut ansprechen auf Schmerzmedikamente. Viele haben Muskelschmerzen entweder schon in Ruhe oder auch hier nach kleinster Belastung.
Seltmann: Was ist so eine kleinste Belastung, die das auslösen kann?
Carmen Scheibenbogen: Das ist individuell natürlich auch unterschiedlich. Für manche heißt das, sie können vielleicht gerade noch ihr Arbeitspensum erfüllen, und mehr geht aber gar nicht. Abends liegen sie dann nur noch. Für andere heißt das aber, sie sind so krank, die können eigentlich nur noch liegen und bei denen reicht es schon, wenn die für kurze Zeit stehen, dass es zu einer Verschlechterung kommt. Denn das ist auch ein weiteres Symptom dieser Erkrankung: dass man oft unter einer sogenannten orthostatischen Intoleranz leidet. Man kann also nicht mehr gut stehen. Und was passiert dann? Man passt einfach die Durchblutung auch nicht richtig an. Das heißt, wir müssen ja unser Blut ständig dahin verteilen, wo wir es brauchen. Also wenn wir stehen, muss es in die obere Körperhälfte gepumpt werden, und wenn wir joggen, brauchen wir mehr Blut in der Muskulatur. Das funktioniert nicht mehr. Und das hat damit zu tun, dass die ganze Feinsteuerung, mit der wir die unbewussten Dinge machen, also dass wir atmen, dass unser Herz schlägt, dass das alles auch bei dem Chronischen Fatigue-Syndrom durcheinanderkommt, dass die Erkrankten zu schnell atmen und dass das Herz zu schnell schlägt. Und das trägt natürlich auch dazu bei, dass der Körper sich nicht optimal anpassen kann auf die Anforderungen.
Seltmann: Wer ist denn betroffen? Kann man das sagen? Sind das eher sogar die leicht Erkrankten? Sind das eher junge oder alte Menschen, Frauen oder Männer?
Carmen Scheibenbogen: Also man muss vielleicht vorneweg schieben, dass die Patienten, die stationär waren, auf Intensivstation lagen, da haben natürlich die allermeisten auch Langzeitprobleme. Das war zu erwarten. Wir sehen die jüngeren Patienten. Das sind vom Alter her zwischen 20- und 50-Jährige. Es sind doppelt so viele Frauen wie Männer. Sie sind in der Regel aus voller Gesundheit erkrankt. Der Verlauf an COVID war meistens nur milde, also keine Lungenentzündung. Und wir sehen jetzt, dass viele von diesen Jüngeren, die das Vollbild von ME/CFS erfüllen, das sind also etwa die Hälfte der Patienten, die zu uns kommen ... Wir sehen, dass viele von denen anhaltend schwerkrank sind.
Seltmann: Gibt es auch Kinder, die schon betroffen sind? Bei Kindern hat man immer so das Gefühl, die Infektion ist nicht so schlimm.
Carmen Scheibenbogen: Da wir Internisten sind, sehen wir erst Menschen ab 18 Jahren. Aber ich weiß von meiner Kollegin, Frau Professor Behrens aus München, die dort eine Sprechstunde hat auch für Kinder, die vom Postinfektiösen Fatigue-Syndrom betroffen sind, dass es eben auch Kinder gibt, die so schwerkrank sind. Es sind allerdings überwiegend Jugendliche, und es sind auch bei weitem nicht so viele, wie wir hier bei den Erwachsenen sehen.
Seltmann: Und was macht denn jetzt das Virus im Körper, was dann dieses Long-COVID- auslöst?
Carmen Scheibenbogen: Also bei den allermeisten unserer Patienten, schon, wenn wir die das erste Mal sehen, bei einigen war das an Monat 3, meistens erst an Monat 6, gibt es keinen Hinweis mehr, dass das Virus im Körper noch aktiv ist. Wir gehen davon aus, dass es bei den allermeisten das Immunsystem ist, was nicht wieder zur Ruhe gekommen ist. Das Virus ist insofern besonders, als es ein neues Virus ist. Wir hatten also in unserem Leben bislang damit nichts zu tun, und dass es auch viele unterschiedliche Körperzellen befallen kann und dass daher auch die Infektion oft über zwei Wochen anhält. Und das führt dazu, dass das Immunsystem natürlich extrem hochgefahren wird und daher auch länger braucht, wieder zur Ruhe zu kommen. Und bei einigen scheint das auch gar nicht richtig zu funktionieren. Auch über ein Jahr hinaus noch sehen wir noch eine leichte Entzündungsreaktion im Körper. Das kann man messen, das sind bestimmte Zytokine, die noch erhöht sind. Wir sehen darüber hinaus, dass auch Autoantikörper gebildet werden.
Seltmann: Also Antikörper gegen körpereigenes Gewebe?
Carmen Scheibenbogen: Das sind Antikörper gegen körpereigene Strukturen. Da gibt es jetzt nicht den einen Autoantikörper, der durch COVID ausgelöst wird, sondern das ist letztendlich ein relativ buntes Bild. Es gibt manche Menschen, bei denen kann COVID eine Autoimmunerkrankung auslösen, die man auch schon kennt. Also zum Beispiel sowas wie einen Diabetes Mellitus, oder Multiple Sklerose ist beschrieben. Und wir selbst schauen uns insbesondere die Autoantikörper an gegen Rezeptoren des autonomen Nervensystems, Als Beispiel der Adrenalin Rezeptor, über den wir ja quasi die Stressreaktion steuern. Und wir wissen, dass also nicht nur das Adrenalin das tut, sondern dass es auch Antikörper gibt, die das quasi gemeinsam mit dem Adrenalin machen.
Seltmann: Also das Immunsystem versucht, das Virus abzutöten oder zu markieren als fremd, und verirrt sich und markiert aus Versehen körpereigene Strukturen, die mit dem autonomen Nervensystem zusammenhängen?
Carmen Scheibenbogen: Genau. Wir sehen, dass zum Beispiel die Höhe solcher Antikörper gegen adrenerge Rezeptoren auch mit der Symptomschwere korreliert oder auch mit der Durchblutungsstörung. Das ist also schon ein ganz wichtiger Hinweis, dass hier auch diese Autoantikörper mit an den Symptomen beteiligt sein können. Und diese Durchblutungsstörungen, die wir bei dem Chronischen Fatigue-Syndrom ja schon gut kennen, die sehen wir jetzt auch bei den Post-COVID-Patienten. Das heißt, wir haben auch gerade, was die Feinsteuerung der Durchblutung angeht, bei vielen Patienten eine Anpassungsstörung. Die haben auch kalte Hände, und wenn man sich das anschaut, dann sind die Finger schnell rot und blau. Und man kann das auch messen, dass gerade die Durchblutung der kleinen Kapillaren nicht ganz optimal ist. Und dadurch ist natürlich auch die Sauerstoffversorgung der Muskulatur, der Organe gemindert. wir sehen, dass die Patienten auch eine ausgeprägte muskuläre Schwäche haben. Das kann man auch messen über die Handkraft. Und das kann unter Umständen auch dadurch kommen, dass unter Belastung einfach die Blutversorgung der Muskulatur nicht angepasst wird. Und ohne Sauerstoff kann der Muskel keine Energie produzieren. Und das ist gerade für einen Muskel unter Belastungen ein riesiges Problem, denn es kommt ja unter Belastung dann auch zu einem direkten Abbau von Zucker zu Laktat, und dadurch kommt es auch zur Verschiebung von Elektrolyten. Und das muss alles nach der Belastung wieder in Ordnung gebracht werden. Und ohne Energie funktioniert das nicht. Und wir denken, dass das auch ein zentrales Problem beim Post-COVID-Syndrom ist. Wir sehen also, dass die Muskelkraft schon nach einem halben Jahr oftmals nur noch die Hälfte von dem ist, was ein junger Mensch an Kraft eigentlich aufbringen sollte. Und das kann natürlich dann auch wieder in Folge zum allgemeinen Gefühl dieser Fatigue beitragen. Und das kann zum Beispiel auch dazu führen, dass viele dann zu schnell atmen, weil der Muskel signalisiert natürlich dem Gehirn: Ich brauche mehr Sauerstoff, und dann atmet man schneller. Nur, wenn man dauernd zu schnell atmet, dann bringt man ja auch wieder diese ganzen Kreisläufe durcheinander. Dann kommt es zu Ionenverschiebungen, und das kann unter Umständen auch eine Art Teufelskreislauf sein, dass also die muskuläre Fatigue und diese Hyperventilation sich gegenseitig bedingen.
Seltmann: Es ist auch das Thromboserisiko und das Herzinfarktrisiko bei COVID-Patienten längerfristig teilweise stark erhöht. Womit hängt das zusammen?
Carmen Scheibenbogen: Ja, auch da gibt es inzwischen einige Studien dazu. Stark erhöht, das betrifft eher diejenigen, die auch schwerkrank waren, die also auf der Intensivstation lagen. Aber wir haben gelernt, dass auch bei den Jüngeren das Risiko leicht erhöht ist. Und das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass das Virus auch Gefäße infiziert, also die Endothelzellen infizieren kann, was wahrscheinlich auch der Grund ist, warum die Gefäßfunktion dann also lange gestört bleibt. Und diese infizierten Gefäße, die scheinen auch relativ schlecht zu heilen. Und die setzen also weiter Entzündungsfaktoren frei. Und das kann auch zur Gerinnungsaktivierung führen. Und darüber ist möglicherweise dann auch das Risiko für Thrombosen erhöht.
Seltmann: Jetzt haben Sie schon gesagt, es können Menschen aller Altersklassen betroffen sein, schwer oder leicht Erkrankte. Weiß man denn, was die Ursache ist, Wer ist gefährdet, ein Long-COVID-Syndrom zu entwickeln?
Carmen Scheibenbogen: Also was wir schon relativ genau wissen, ist, dass Frauen etwa doppelt so häufig betroffen sind. Und wir sehen, dass es auch Menschen sind, die Immundefekte haben. Also das sind ja die Patienten, die wir hier auch betreuen, mit Immundefekterkrankungen. Jetzt sind es oft auch Menschen, die nur einen ganz milden Immundefekt haben, den sie also vorher gar nicht kannten. Es gibt zum Beispiel einen Defekt im Komplementsystem. Das Mannose-bindende Lektin ist so ein Teil des Komplementsystems, das gerade in der Anfangsphase einer Infektion auch wichtig ist, weil es Viren neutralisieren kann. Und das ist sogar ein relativ häufiger Defekt in der Bevölkerung. Etwa fünf Prozent haben das, oftmals unbemerkt. Und wir sehen aber jetzt, dass diejenigen, die das Post-COVID-Syndrom entwickelt haben, zu 25 Prozent diesen Defekt haben, der ein angeborener Defekt ist, der also sich nicht erst entwickelt haben kann infolge der Erkrankung. Und das heißt einfach, die haben in der Anfangsphase der Infektion wahrscheinlich länger gebraucht, um das Virus in den Griff zu bekommen. Es gibt Studien aus Zürich, die zeigen, auch wenn bestimmte Immunglobuline etwas niedriger sind, das IgM oder das IgG3, dass man dann auch höheres Risiko hat, ein Post-COVID-Syndrom zu entwickeln. Und wir gehen insgesamt davon aus, dass das aber auch Menschen sind wahrscheinlich, die ein aktiveres Immunsystem haben. Also da kommt zum einen diese Immunschwäche zusammen, dass man in der Anfangsphase das Virus nicht so gut neutralisieren kann, aber dann auch das Problem, dass man sein Immunsystem nicht so leicht abschalten kann, weil man möglicherweise ein Immunsystem hat, d as sich am Ende nicht so richtig wieder abschaltet. Und das sind sagen wir mal Menschen, die grundsätzlich ein erhöhtes Risiko haben, Autoimmunerkrankungen zu entwickeln. Da wissen wir, es gibt Varianten im Immunsystem, die treten in Familien gehäuft auf, und wenn man die hat, dann findet man in diesen Familien auch häufiger Autoimmunerkrankungen. vieles spricht dafür, dass gerade COVID Autoimmunreaktionen auslöst und dass das wahrscheinlich gerade bei denen, die ME/CFS nach COVID entwickelt haben, auch ein ganz wichtiger Mechanismus ist und dass man in diese Richtung auch dann Therapiekonzepte entwickeln sollte.
Seltmann: Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Haben Frauen denn ein anderes Immunsystem als Männer? Haben Frauen eher Immundefekte?
Carmen Scheibenbogen: Frauen haben vor allem eher Autoimmunerkrankungen. Also fast alle Autoimmunerkrankungen treten bei Frauen häufiger auf. Und dass Frauen ein aktiveres Immunsystem haben, das weiß man. Das hat genetische Gründe, das hat hormonelle Gründe. Das Östrogen spielt also eine Rolle und das X-Chromosom. Und das hat wahrscheinlich den Vorteil, dass man, gerade wenn man schwanger ist, sein ungeborenes Kind auch besser schützen kann vor Infektionen, aber hat eben den Nachteil, dass man ein höheres Risiko hat, Autoimmunerkrankungen zu entwickeln.
Seltmann: Was kann man tun?
Carmen Scheibenbogen: Ja, das ist die wichtigste Frage, denn wir haben sehr viele Erkrankte. es gibt zum Beispiel in England eine große Kohorte von 400.000 Erkrankten, die nach Infektbeginn regelmäßig nachuntersucht wird. Und da wissen wir, dass etwa 8 bis 10 Prozent aller, die COVID hatten, unter Langzeitfolgen leiden. Das sind also wirklich beängstigende Zahlen. Und wir wissen, dass auch viele, die jetzt an Monat 3 krank waren, auch an Monat 12 noch anhaltend krank sind. Das sind ganz aktuelle Daten aus einer französischen Studie. Das heißt, wir haben es mit sehr vielen Menschen zu tun, die wir natürlich auch hier versuchen müssen zusätzlich zu versorgen. Die kommen ja jetzt alle zusätzlich ins Gesundheitssystem. Wir haben hier in Berlin ein COVID-Netzwerk gegründet, wo wir gemeinsam an der Charité verschiedene Ambulanzen haben, um diese Patienten hier zu sehen. Diese Patienten haben ja auch unterschiedlichste Probleme. Also wir sehen die, bei denen die Fatigue und die Belastungsintoleranz das Leitsymptom ist. Die Neurologen kümmern sich aber auch zum Beispiel um Patienten, bei denen vor allem diese kognitiven Einschränkungen das Vordergründigste ist. Die Pulmologen sehen die Patienten, die vor allem an Atembeschwerden leiden. Wir haben Kardiologen, wir haben HNO-Ärzte, wir haben Psychosomatiker mit in diesem Netzwerk. Und dann ist es natürlich auch so, dass wir hier in der Charité nur die Schwerstkranken sehen können. Also wichtig ist, dass auch die Hausärzte natürlich zunächst diese Patienten sehen. Wir sagen, so ab Woche 4 sollte der Hausarzt den Patienten das erste Mal sehen. Und dass die dann auch schauen, wie kann man den Patienten helfen und wer muss vielleicht dann doch in eine Spezialambulanz, weil er kränker ist. Wer braucht eine Reha? Wer braucht ergänzende Maßnahmen? Physiotherapie, Ergotherapie ist da sicher auch wichtig. Und insgesamt ist es aber so, dass die Behandlung momentan überwiegend symptomorientiert ist. Das heißt, jemand, der zum Beispiel eine schwere Belastungsintoleranz hat, der muss das Konzept des Pacings lernen, das er erstmal vermeidet solche Überlastungen, die zu einem Crash führen. Jemand, der Schmerzen hat, da muss man schauen in enger Abstimmung mit der Physiotherapie, wie man das behandeln kann. Jemand mit Atembeschwerden, der braucht dann oft eine gezielte Atembehandlung und auch eine entsprechende weitere Abklärung. Und auch die Reha ist gefragt. Also wir brauchen da auch spezielle Konzepte, gerade diese Jüngeren mit Belastungsintoleranz gut zu unterstützen. Aber insgesamt ist das alles extrem unbefriedigend, weil wir können vielen nicht gut helfen. Und viele sind also jetzt nach zwei Jahren anhaltend schwerkrank. Und was wir deswegen natürlich dringend brauchen, sind Medikamente oder Medizinprodukte, mit denen wir die Erkrankungen gezielt behandeln und heilen können.
Seltmann: Es war doch mal die Rede davon, dass möglicherweise eine Impfung hilft.
Carmen Scheibenbogen: Ja, auch, das ist natürlich eine berechtigte Frage, denn es gab oder es gibt auch weiterhin Studien, die zeigen, dass manche Patienten anhaltend Virusreste im Körper haben. Also das ist gezeigt worden in Darm-Biopsien, das ist auch gezeigt worden, dass in bestimmten Monozyten Virusreste persistieren. Aber man hat auch gelernt, dass man mit Impfung insgesamt den Allerwenigsten wirklich helfen kann. Natürlich ist eine Impfung sowieso indiziert. Wenn man COVID hatte, muss man sich natürlich auch spätestens nach sechs Monaten noch mal impfen lassen. Aber die Impfung alleine reicht nicht aus. Und wo wir also hinmüssten, ist, Medikamente zu entwickeln auf der Grundlage dessen, was wir jetzt wissen über die Krankheitsmechanismen. Und die wesentlichen Ansätze, die wir verfolgen, ist zum einen Autoantikörper, dass wir also Medikamente entwickeln wollen, die in der Lage sind, solche Autoantikörper zu eliminieren. Die Immunadsorption ist ein Verfahren, wo man also Autoantikörper einfach rauswäscht. Natürlich sind Medikamente, die die Autoantikörper produzierenden B-Zellen angreifen, von großem Interesse, sogenannte CD20 monoklonale Antikörper. Dann aber auch Medikamente, die bei Entzündungen ansetzen. Da gibt es auch sagen wir mal mehrere, die interessant sein könnten, zum Beispiel solche JAK-Inhibitoren, die jetzt ja auch im großen Umfang entwickelt werden für Autoimmunerkrankungen, teilweise auch schon zugelassen sind, die auch schon gezeigt haben, dass sie auch bei Akut-COVID helfen können, wo wir ja auch eine ganz ausgeprägte Entzündungsreaktion haben. Und der dritte Schwerpunkt sind Medikamente, die die Gefäßfunktion verbessern. Auch da gibt es schon zugelassene Medikamente, die man für die Behandlung von chronisch Herzerkrankten einsetzt. Und dann gibt es eine ganze Reihe von sogenannten Medizinprodukten, die viele auch in Deutschland entwickelt wurden und die teilweise auch schon angewendet werden, ohne dass es da Daten gibt aus klinischen Studien oder Zulassungen, die wir aber auch ganz dringend in kontrollierten Studien prüfen müssen. Dazu zählt also zum einen diese Immunadsorption, die ich gerade schon genannt habe. Dazu zählen auch andere Verfahren. Sauerstoffhochdrucktherapie ist so ein Verfahren, von dem man ausgeht, dass es auch die Durchblutungsstörungen verbessern kann. Dann gibt es ein Verfahren, das auch an der Charité entwickelt wurde, eine sogenannte Gegenpulsation oder Herzhose auch genannt, die entwickelt wurde, um die Durchblutungssituation bei Herzerkrankten zu verbessern, die auch von Interesse wäre. Help Apherese ist auch so ein Verfahren, über das viel gesprochen wird, das vom Konzept her eigentlich dazu entwickelt wurde, um hohe Blutfette herauszuwaschen. Und da ist eigentlich am wenigsten verstanden, was es beim Post-COVID-Syndrom machen könnte. Und vielleicht am Ende noch ein Punkt zum BC 007. Danach werde ich ja auch immer gefragt. Das ist ein Aptamer, was auch eine Berliner Entwicklung ist und was auch genau an diesen Antikörpern ansetzt, die gegen Stressrezeptoren gerichtet sind. Das ist eine Substanz, die, wenn man sich die Studien anschaut, also die haben nicht wir entwickelt, daher kann ich auch nur das wiedergeben, was veröffentlicht ist, die auch in der Lage ist, solche Antikörper zu neutralisieren. Es gibt dafür auch bereits eine Förderung vom BMBF. Und gemeinsam mit Frau Dr. Hohberger aus Erlangen würden wir das also auch testen wollen bzw. die klinischen Studien hier mit unterstützen, die beim Post-COVID-Syndrom, aber auch bei ME/CFS durchgeführt werden sollen. Und das ist so die Palette der Substanzen, die wir gerne entwickeln würden und wo wir das gerne auch jetzt relativ bald machen würden. Natürlich hoffen wir, dass wir jetzt auch die Unterstützung von allen bekommen.
Seltmann: Sie haben gesagt, 8 bis 10 Prozent aller Erkrankten laufen Gefahr, das Long-COVID-Syndrom zu entwickeln. Das sind bei Millionen von infizierten Menschen ja doch eine ganze Menge. Was bedeutet das Long-COVID-Syndrom für die Gesellschaft?
Carmen Scheibenbogen: Ja, das ist ein Problem in einer Dimension, das wir so wahrscheinlich noch nicht hatten. Denn es sind natürlich zum einen die persönlichen Schicksale, wenn man als junger Mensch so eine schwere Krankheit entwickelt und erstmal auch die Perspektive gar nicht klar ist. Aber zum anderen sind das natürlich auch enorme Belastungen für das Gesundheitssystem und auch für Sozialsysteme und auch für alle Angehörigen, die davon betroffen sind.
Seltmann: Was raten Sie denn nun Betroffenen oder Menschen, die glauben, betroffen zu sein? Wohin kann man sich wenden? Was kann man möglicherweise selbst für sich tun? Wo findet man Hilfe?
Carmen Scheibenbogen: Wir haben im Post-COVID-Netzwerk eine Informationsseite auch für Patienten. Dort findet man die Leitlinien, die wir auch übersetzt haben in eine etwas einfachere Sprache. Man findet dort auch die Empfehlung, dass man das über den Hausarzt koordinieren lassen sollte. Das ist natürlich ganz wichtig, weil der Hausarzt einen ja auch schon kennt und weiß, was man eventuell schon für Vorerkrankungen hat. Und der muss letztendlich dann schauen, wen kann er selbst versorgen, wen muss er weiterschicken zum Facharzt, wen muss er in die Reha schicken, wen muss er zu uns an die Charité schicken. Und wir haben in den meisten Bundesländern inzwischen auch Strukturen für Long- und Post-COVID-Erkrankte. Aber man muss auch ehrlich sagen, dass diese Versorgungsstrukturen nicht ausreichen, um die vielen Erkrankten zeitnah zu versorgen. Und die sind auch je nach Universität unterschiedlich ausgerichtet oft. Es gibt manchmal nur Spezialambulanzen für einen Teil der Erkrankten. Und auch da brauchen wir letztendlich viel bessere Versorgungsstrukturen, um den Patienten allen auch zeitnah gerecht zu werden. Da gibt es dann auch noch den Patientenverband Long COVID Deutschland mit verschiedenen Regionalgruppen. Auch da finden Erkrankte Unterstützung und viele Informationen. Die sind auch politisch sehr aktiv. Die haben also einen nationalen Aktionsplan geschrieben im letzten Jahr schon. Bei dem haben wir sie unterstützt. Aber den haben sie dann selbst auch vorgelegt, sodass diese Forderungen nach besseren Versorgungsstrukturen, nach klinischen Studien auch mit eingegangen sind in den Koalitionsvertrag. Und auf dieser Grundlage sind wir eben jetzt auch im Gespräch mit BMG und BMBF, um das auch umzusetzen.
Seltmann: Dann wünschen wir Ihnen viel Glück und viel Erfolg.
Carmen Scheibenbogen: Vielen Dank.
Seltmann: Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Professorin Carmen Scheibenbogen erklärte, was man unter dem Long-COVID-Syndrom versteht, wer betroffen ist und was man dagegen unternehmen kann. Falls auch Sie eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an: podcast@bih-charite.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal, sagt Stefanie Seltmann.
Informationen zum Long- und Post-COVID-Syndrom finden Sie hier: https://cfc.charite.de/fuer_patienten/post_covid_fatigue/