Aus Forschung wird Gesundheit.
BIH_Podcast_41_Was tun bei Arthrose?
Interviewpartner: Prof. Tobias Winkler, Leiter der AG Neuartige muskuloskelettale Erkrankungen am Julius Wolff Institut des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH)
Seltmann: Seltmann: Herzlich Willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann. Heute bin ich zu Gast bei Prof. Tobias Winkler, der die Arbeitsgruppe für neuartige muskuloskelettale Therapien leitet. Er kümmert sich also um Krankheiten des Bewegungsapparates. Derzeit entwickelt er gemeinsam mit seinen Kollegen und Kolleginnen am BIH-Zentrum für Regenerative Therapien neue Behandlungsmöglichkeiten für Arthrose-Patientinnen und -Patienten. Von ihm möchte ich wissen, was man gegen Arthrose tun kann und wie man möglicherweise sogar verhindern kann, dass man überhaupt Arthrose entwickelt. Guten Tag, Herr Prof. Winkler.
Tobias Winkler: Guten Tag.
Seltmann: Herr Winkler, es gibt Arthrose, Arthritis, Osteoporose, Osteoarthrose, alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Können wir vielleicht zu Beginn eine kleine Begriffsdefinition machen: Was genau ist Arthrose?
Tobias Winkler: Ja, sehr gern. Also die Arthrose wurde früher als Wear and Tear Disease, also als degenerative Erkrankung begriffen. Das heißt eine degenerative Gelenkerkrankung, wo der Knorpel durch eine Abnutzung kaputtgeht. Damit wurde er ganz klar auch zur Arthritis abgegrenzt. Diese Arthritis ist eine, wie alles, was mit -itis aufhört, das wissen die Hörer Ihres Podcasts sicher auch, eine Entzündung, eine Autoimmunerkrankung, wo das eigene Immunsystem sich meistens gegen die Gelenke richtet, aber auch gegen sehr viele andere Organe und Strukturen im Körper. Und bei der Arthrose wissen wir heutzutage, dass es sich eben auch um eine Erkrankung handelt, bei der die Entzündung eine sehr wesentliche Rolle spielt, und zwar mehr, als wir bis jetzt gedacht haben. Es ist nicht eine Autoimmunerkrankung, wie bei der Arthritis der Fall wäre oder bei den rheumatoiden Arthritiden der Fall wäre, aber es ist eine Erkrankung, bei der eine fortschreitende Entzündung im Gelenk oder eine dauerhafte Entzündung im Gelenk zu einem immer größeren Abbau von Knorpelsubstanz führt. Und dagegen versuchen wir eben was zu machen. Die Osteoporose, die Sie noch erwähnt haben, das ist eine Knochenerkrankung. Also auch eine Volkskrankheit mit sehr vielen Betroffenen, die gerade in unseren Breitengraden mit dem Mangel an Vitamin D aufgrund der wenigen Sonnenexposition einhergeht, und meint, dass man einen Knochenschwund bekommt. Das heißt, Sie haben dann Knochen, bei denen die Architektur und auch der Kalkgehalt geringer wird und damit der Knochen auch brüchiger wird. Und dann kommt es zum Beispiel schon bei Bagatellstürzen bei älteren Personen, die unter Osteoporose leiden, auch zu den typischen Frakturen, also Oberarmkopffraktur oder einer Schenkelhalsfraktur oder auch einer Handgelenksfraktur. Das sind so klassische osteoporotische Frakturen. Also die ersten zwei sind Gelenkerkrankungen, um das nochmal zu sagen, und das Letzte ist eine generalisierte Knochenerkrankung, die sehr häufig auch postmenopausale Frauen zum Beispiel betrifft.
Seltmann: Weil sie mit Hormonschwankungen zu tun hat?
Tobias Winkler: Weil nach der Menopause weniger Hormone vorhanden sind, die für den Knochenaufbau auch eine wichtige Rolle spielen.
Seltmann: Jetzt haben Sie gesagt, Arthrose wurde früher als Wear and Tear, also so eine Art Abnutzungserkrankung begriffen. Heute weiß man es besser. Aber es sind ja doch hauptsächlich ältere Menschen betroffen, die Abnutzung spielt gar keine Rolle? #00:04:55-9#
Tobias Winkler: Die Abnutzung spielt eine sehr große Rolle Und die Arthrose hat als größten Risikofaktor nach wie vor das Alter. Es gibt aber auch noch andere Faktoren, die tatsächlich darauf schließen lassen, dass die mechanische Belastung im Gelenk eine ganz wichtige Rolle spielt. Zum Beispiel bei der Kniegelenksarthrose, witzigerweise nicht so sehr bei der Hüftgelenksarthrose, das Gewicht. Also wenn Sie einen übergewichtigen Patienten haben, dann wird der im Knie eher Arthrose entwickeln als jemand, der normalgewichtig ist zum Beispiel. Zusätzlich dazu gibt es natürlich noch andere Faktoren, meistens anatomischer Natur, die für Arthrose prädestinieren. Zum Beispiel, wenn wir beim Kniegelenk bleiben, starke O-Beine, starke X-Beine. Wenn man an die Hüfte denkt, zum Beispiel, wäre hier eine sogenannte Hüftgelenksdysplasie zu nennen, wo die Auflagefläche des Pfannendaches, in dem der Hüftkopf drinliegt, zu klein ist oder zu steil ist und damit der Druckpunkt oder die Druckauflage größer wird oder kleiner wird und damit der Druck größer wird. Da entwickelt sich auch schnell eine Arthrose. Und dann alles, was mit Inflammation zu tun hat.
Seltmann: Mit Entzündung?
Tobias Winkler: Genau, mit Entzündung. Wenn Sie zum Beispiel eine Infektion im Gelenk haben. Das sind nicht nur die direkten Sachen, also das zerstörerische Potenzial der Bakterien, sondern eben auch das Immunsystem, das dann dort wirkt. Oder wenn man ständige Blutergüsse im Gelenk hat wie ein Bluter zum Beispiel. Der hat auch ein höheres Risiko durch die erfolgte Entzündung bei den Abräumprozessen für eine Arthrose.
Seltmann: Wie sieht es denn mit Sport aus? Haben Leistungssportler, die ihre Gelenke extrem belasten, ein höheres Risiko für Arthrose?
Tobias Winkler: Also man kann jetzt nicht generell sagen, ein Leistungssportler, der muss Arthrose entwickeln. Da kommen sehr viele Sachen dazu, wie eben diese anatomischen Dinge, die ich Ihnen gesagt habe. Was beim Leistungssportler oft noch dazukommt, sind Verletzungen zum Beispiel, zum Beispiel Bandläsionen am Kniegelenk, beispielsweise das vordere Kreuzband. Es gibt Leistungssportler im Fußballbereich, die sind dreimal am vorderen Kreuzband operiert. Und da kommt zusätzlich zu dieser Instabilität auch noch die Entzündung wieder, die durch diese Regeneration immer getriggert wird. Und deswegen kriegen die dann Arthrose, wegen der Instabilität zum einen und wegen den ständigen Entzündungen, die sie durch das Trauma, aber auch durch die Therapien, die wir selber auch machen, gesetzt bekommen.
Seltmann: Dann kommen wir doch mal auf die Therapien. Wenn ein Gelenk, ein Kniegelenk, ein Hüftgelenk, durch Arthrose so weit beschädigt ist, dass man ständig Schmerzen hat, dass man sich gar nicht mehr gut bewegen kann, dann gibt es üblicherweise oder häufig ein neues Gelenk. Oder gibt es da Alternativen?
Tobias Winkler: Jetzt bin ich Orthopäde und Unfallchirurg. Und als Orthopäde hätte ich Ihnen gesagt: Natürlich machen wir eine Prothese. Jetzt hat es aber natürlich in der letzten Zeit sehr viele Entwicklungen in dem Bereich gegeben, und gerade meine Arbeitsgruppe forscht sehr intensiv daran, Prävention zu betreiben. Das geht bis in den Ernährungsbereich, wo man dann Patienten berät, welche antiinflammatorische Ernährung sie zu sich nehmen sollen oder welche inflammatorische Ernährung sie nicht mehr machen sollen, das läuft auch hinaus dann auf Therapien, an denen wir forschen, um Arthrose im Frühstadium zu erkennen und zu therapieren. wir beforschen zum Beispiel in einem Projekt: Wie kann man frühzeitig Arthrose überhaupt erkennen? Und in einem anderen Projekt wiederum schauen wir uns an, wie eine Therapie, die wir bei unseren Patienten in der Sprechstunde sehr häufig einsetzen, die Plasmatherapie mit Eigenplasma, welche Patienten darauf ansprechen und welche nicht ansprechen, weil das auch bisher ungeklärt ist. Und dann gibt es natürlich noch weiter fortgeschrittene Therapieformen, wie zum Beispiel Zelltherapieformen, die versuchen, in Frühstadien die Arthrose dann aufzuhalten und eventuell in Teilen dann auch wieder Läsionen zu therapieren, was in Spätstadien auch aktuell gar nicht möglich ist.
Seltmann: beginnen wir mal mit der Diagnostik. Das setzt ja voraus, dass man nicht erst dann zum Arzt geht, wenn das Gelenk schon massiv zerstört ist und nur noch ein neues Gelenk helfen würde. Was wäre denn ein guter Zeitpunkt? Soll man das einfach regelmäßig überprüfen lassen? Oder merkt man das, wenn es ein bisschen zwickt in der Hüfte, dann soll man mal ganz schnell zum Orthopäden gehen? Oder was wäre da der Rat an die Betroffenen?
Tobias Winkler: Das ist eine sehr schwierige Frage und eine sehr gute Frage deswegen, muss man sagen, weil wir haben aktuell gar keine richtigen Mittel noch, um die Arthrose in ihrem Frühstadium zu erkennen. Sobald wir eine Arthrose erkennen, ist sie bereits in einem doch schon späteren Stadium der Erkrankung, das heißt, sie hat sich schon insoweit manifestiert, dass es zum Knorpelabbau gekommen ist und auch zur Entzündung. Das heißt, so eine Vorsorge für Arthrose, die sollten Patienten wahrnehmen, die wirklich ein anatomisches identifizierbares Problem haben, wie zum Beispiel eine Hüftdysplasie oder auch grobe Fehlstellungen an den unteren Extremitäten zum Beispiel auch. Die Hüftgelenksdysplasie beispielsweise ist etwas, das eigentlich bereits im Säuglingsalter therapiert wird. Durch den Säuglingsultraschall kann man die feststellen, und dann muss man das Kind nur in so eine Spreizhose stecken oder breit wickeln. Und dann hat man das gelöst. Aber wenn man mit 20 eine solche Fehlstellung nach wie vor hat, und diese Patienten haben meistens auch schon leichte unspezifische Beschwerden, dann sollte man sich bei einer spezialisierten Orthopädie vorstellen, weil da kann man durch Umstellungsoperationen zum Beispiel auch noch zusätzlich tätig werden. Das sagt auch schon wieder, was ganz wesentlich für mich auch ist, der ich auch operiere und sehr viele Patienten auch in späteren Stadien sehe oder auch präventiv bei Beschwerden operiere: Es ist immer eine Kombination aus den Therapien, die wir haben. Wenn wir zum Beispiel bei unserem Zentrum für Muskuloskelettale Chirurgie Patienten sehen, dann können wir aus dem gesamten Potpourri praktisch der orthopädischen und unfallchirurgischen Therapien und Diagnostik auch auswählen und dann für jeden Patienten maßgeschneidert dann auch eine Therapie anbieten. Und in Zukunft wird diesem Potpourri ein immer größerer Anteil an biologischen und regenerativen Therapien angehören.
Seltmann: Da haben Sie jetzt also eine neue Idee entwickelt, gemeinsam mit Ihren Kollegen vom Berlin Institute for Regenerative Therapies, wie man eben die Regeneration unterstützen kann. Dafür haben Sie eine Methode entwickelt, bei der Sie den Patienten bestimmte Zellen verabreichen. Was sind das für Zellen? Wie gehen Sie da vor?
Tobias Winkler: wir haben zwei große Krankheitsblöcke oder Krankheitsentitäten, die wir hier therapieren. Wir therapieren Knochenverletzungen, wir therapieren Sehnenverletzungen. Aber bei den Krankheiten, die Sie jetzt, glaube ich, meinen, handelt es sich um Muskelverletzungen zum einen und zum anderen um die Arthrose, die wir gerade besprochen haben. Ich selber forsche, seit ich hier an der Charité bin, und das ist mittlerweile, auch wenn man es vielleicht nicht hört, schon 18 Jahre, an einem Modell für Muskelverletzungen. Und wir haben schon früh begonnen mit Knochenmark-Stromazellen, die wir aus dem Knochen entnehmen des Individuums selber, haben wir hier Injektionen durchgeführt in den verletzten Muskel und haben festgestellt, dass dieser Muskel immer stärker wurde nach dem Trauma. Das haben wir dann aus der Präklinik in eine Phase-1-2-Studie überführt und konnten dann auch erfolgreich das in eine Phase-3-Studie überführen, wo wir erneut das gleiche Ergebnis gerade auch gefunden haben: dass nämlich die Muskulatur tatsächlich durch die Therapie stärker wird.
Seltmann: Nochmal einen Schritt zurück: Was waren das für Patienten? Die hatten Arthrose und haben ein neues Hüftgelenk bekommen? Und dann haben Sie mit Ihrer Zelltherapie dafür gesorgt, dass ihre Muskulatur stärker wurde? Was war denn genau das Problem?
Tobias Winkler: Diese Patienten, diese Arthrose-Patienten, wie sie korrekterweise schon gesagt haben, kriegen oder bekamen eine Hüftprothese. So eine Hüftprothese muss man ins Gelenk, in das ehemalige Gelenk einsetzen. Und um dort vor Ort das machen zu können, muss man dieses Gelenk zunächst mal exponieren, also auffinden und praktisch aufmachen.
Seltmann: Freilegen?
Tobias Winkler: Genau freilegen. Und nach dieser Freilegung wird die Prothese implantiert, was so eine dreiviertel Stunde, Stunde ungefähr dauert. Und egal, ob man da jetzt durch die Muskulatur durchgeht, indem man die Muskulatur anschneidet, oder ob man zwischen die Muskelschichten reingeht und dann die Muskulatur wegdrängt, man verletzt immer Muskulatur. Selbst minimalinvasive Zugänge, die heutzutage sehr promotet werden, sind immer wieder natürlich, da gibt es schöne Arbeiten dazu, dafür verantwortlich, dass Muskulatur einfach nach solchen Eingriffen untergeht. Und das haben wir adressiert. Also wir haben in diese Muskulatur nach der Operation Zellen gespritzt. Das sind mesenchymale Stromazellen, die aus der Plazenta gewonnen werden, also aus dem Mutterkuchen, aus der mütterlichen Seite des Mutterkuchens. Wir arbeiten da an der Charité schon seit 2007 relativ lange, ich selber 2009, mit einer israelischen Biotechfirma zusammen, wo wir diese Zellen gemeinsam charakterisiert haben und haben die dann appliziert. Und wir haben auch in der Phase-3-Studie, wo wir keine Arthrose-Patienten mehr genommen haben, die eine Prothese bekommen haben, sondern Hüftfraktur-Patienten, eben diesen Effekt gesehen. Auch die Hüftfraktur-Patienten haben eine Prothese bekommen genau in dem gleichen Weg sozusagen wie auch die Arthrose-Patienten in der Phase-1-2-Studie.
Seltmann: Dann haben die Zellen dabei geholfen, den Muskel zu stärken? Was denken Sie denn, wie die Zellen das geschafft haben? Was haben die denn da in der Muskulatur gemacht?
Tobias Winkler: Wir haben am Anfang meiner Tätigkeit und wie auch viele andere gedacht, dass wenn wir MSCs, mesenchymale Stromazellen, applizieren in die Muskulatur, also transplantieren praktisch, dass die dann, und deswegen hat man sie auch immer mesenchymale Stammzellen genannt, tatsächlich als Stammzellen agieren, differenzieren im Muskel und dann auch dort einfach beitragen als Zelle selber. Wir sind aber sehr schnell draufgekommen, na, sehr schnell ist gut, das waren schon mehrere Jahre, muss ich sagen, wir haben gesehen, dass diese Zellen eigentlich nur mehrere Wochen im Körper sind und auch nur ganz wenige sich mit Muskelfasern verbinden, die meisten aber im Interstitium, also im Zellenzwischenraum liegen und dort praktisch wie so kleine Biokraftwerke Stoffe produzieren in Antwort auf das Milieu, das da drin vorherrscht, und damit zur Regeneration beitragen. Und das ist der tatsächliche Wirkungsweg dieser Zellen. Was man auch weiß, das ist auch interessant: Wenn ich keine Verletzung habe, dann macht die Zelle auch nichts. Das heißt, sie braucht schon einen Trigger dann, einen Auslöser, wo sie sagen kann: Okay, there is a problem, I have to fix it. Um in einem chirurgischen Satz das zu sagen.
Seltmann: Also da ist ein Problem, das muss ich lösen. Das stachelt die Zelle an. Weiß man denn, was das für Faktoren sind, die die Zellen da absondern oder abgeben? Könnte man möglicherweise auch direkt diese Faktoren verabreichen?
Tobias Winkler: Eine sehr gute Frage. Das wird tatsächlich auch versucht. Man weiß natürlich, was die Zellen abgeben. Es sind Tausende verschiedene Faktoren. Die Schwierigkeit darin ist, zu sagen, welcher Faktor ist tatsächlich jetzt für das zuständig. Und alles, wo man bisher einen Faktor glaubte isoliert zu haben und nur den gegeben hat, hat fehlgeschlagen, weil es die orchestrierte Aktion ist. Und wir haben hier am BCRT am BIH und auch am Julius-Wolff-Institut sehr viel dazu geforscht, die Katharina Schmidt-Bleek zum Beispiel in ihrer Gruppe, aber auch der Sven Geißler zum Beispiel, wo man festgestellt hat, in welchen Stufen Heilung abläuft. Und diese Heilungsstufen sind extrem komplex. Die sind wie wellenförmig nach so einer Muskel- oder Knochenheilung. Und das ist unglaublich schwer zu imitieren. Das ist nicht so, dass man dann eine Tablette nimmt. Und selbst, wenn man von den Zellen sogenannte Exosome isoliert, das sind so kleine Bläschen, die in der Zelle drin sind, die hat man von den Zellen isoliert und dann hat man die gespritzt und hat geglaubt, das löst das Problem. Das hat es aber nicht gemacht, weil Sie in verschiedenen Phasen der Heilung verschiedene Exosomen bräuchten. Und eine Zelle kann das. Die liegt dort drin, kriegt eine Information und agiert entsprechend dieser Information. Und das ist das, was wir natürlich versuchen, auch ohne Zellen zu imitieren. Das sind aber noch Versuche, die in einem extremen Vorstadium sind, muss ich sagen. Und die Zelle ist bis jetzt das Medium, das das am besten machen kann.
Seltmann: Wie lange hält denn die Zelle im fremden Körper? Wie lange bleiben die denn am Leben?
Tobias Winkler: Diese Zellen sind nicht für alle Zeit im Körper, wie man eben früher gedacht hat, sondern nur für einige Wochen. Es kommt auf die Indikation drauf an. Wenn man intermuskulär spritzt zum Beispiel bei dieser Zelle, die ich jetzt erwähnt habe von der Plazenta, dann sind das circa 12 Wochen maximal.
Seltmann: Und werden die gar nicht abgestoßen vom Immunsystem?
Tobias Winkler: Auch eine sehr gute Frage. Diese Zellen sind zwar allogene Zellen, das heißt, das sind Zellen, die von einem anderen Individuum kommen, aber s ie haben, wie alle mesenchymalen Stromazellen nur eine sehr geringe Immunogenität. Damit sind sie zu unterscheiden von zum Beispiel einem Organtransplantat, einer neuen Leber zum Beispiel oder einer neuen Niere, wo sehr viel sogenannte HLA-Proteine drauf sind. Diese Antigene werden erkannt vom Immunsystem, und damit kommt es zu schweren Abstoßungsreaktionen, wenn man das Immunsystem nicht supprimiert, also unterdrückt. Und das muss man bei diesen Zellen nicht machen.
Seltmann: Und jetzt haben diese Zellen also offensichtlich eine gute Wirkung gehabt, indem sie die Muskulatur gestärkt haben. Hat das den Patienten denn geholfen nach ihrer Oberschenkelhalsfraktur oder mit ihrem neuen Hüftgelenk? Sind die dann schneller wieder auf die Beine gekommen?
Tobias Winkler: Also was wir gesehen haben, ist, dass die Muskulatur dieser Hüftabspreizer und damit auch der Stabilisatoren des Gelenks und des Beckens signifikant stärker geworden sind. Also wir haben da wirklich ein Ergebnis gehabt, wo wir fast um 30 Prozent steigern konnten, diese Kraft. Wie sich diese Kraft dann auswirkt, das ist wiederum eine andere Frage, weil die Mittel, die wir zur Verfügung haben, um das zu messen, teilweise sehr komplex sind und nicht so einfach übertragbar sind. Wir haben zum Beispiel einen Unterschied gesehen, dass die Patienten schneller gehen konnten in einem 6-Minuten-Gehtest zum Beispiel. Aber da sind die letzten Auswertungen auch noch nicht vorhanden. In anderen Endpunkten haben wir zum Beispiel keinen Unterschied gesehen, wo wir dachten, wir werden einen Unterschied sehen.
Seltmann: Jetzt haben Sie noch eine neue Studie begonnen, für die Sie gerade 7,5 Millionen Euro eingeworben haben, in der Sie testen wollen, ob die Zellen möglicherweise auch schon präventiv wirken können, also einem starken Fortschreiten der Arthrose vorbeugen können, noch bevor das Gelenk ganz kaputtgeht. Wie kann das funktionieren?
Tobias Winkler: Ja, das war eine gute Nachricht jetzt, die uns gerade von der Europäischen Kommission da erreicht hat, dass sie dieses Projekt unterstützen wird zur Arthrose-Prävention in sehr frühen Stadien der Arthrose schon. Wir haben bei diesem Projekt zwei verschiedene Ansätze. Zum einen wird eine Trainingstherapie, eine Trainingsintervention durch Nick Bryson und Georg Duda hier entwickelt, eingesetzt, die wir auch an der Charité, am BIH verwenden, um Arthrose-Patienten nach einem Kreuzband-Ersatz, die Stabilität anzutrainieren, dass sie eben keine Arthrose entwickeln. Und die zweite große Studie, die in dem Projekt drin ist, ist eine Studie, wo wir das entzündungshemmende Potential der Zellen einsetzen wollen, um durch eine Injektion ins Gelenk und in die Muskulatur um das Gelenk zu verhindern, dass die Arthrose fortschreitet. Also das ist vor allem dieses antientzündliche Potenzial, das die Zellen haben. Wir wissen heutzutage, dass das Immunsystem nicht nur eben Keime abwehrt, wie wir früher mal gedacht haben, sondern es ist in Wahrheit ein ganz großes und wichtiges, das wichtigste regenerative System im Körper. Das heißt, ohne diese Entzündungsprozesse, die eben auch gut sein können, gäbe es gar keine Regeneration. Wenn Sie gewisse Zellen vom Immunsystem wegnehmen, wird Ihnen nichts mehr heilen. Und genauso gibt es Zellen, die schlecht sind für die Heilung. Also da haben wir auch am Julius-Wolff-Institut eine Studie durchgeführt, wo wir uns genau anschauen, welche Zellen dafür zuständig sind oder als Biomarker verwendet werden können, um zu wissen, ob eine verbesserte in dem Fall Knochenheilung zum Beispiel stattfindet oder eben eine schlechtere Knochenheilung, um rechtzeitig intervenieren zu können. Dieses regenerative System innerhalb des Immunsystems, das adressieren praktisch alle Zelltherapien, die wir kennen. auch unsere Plazenta-Zell-Therapie greift am Immunsystem an und bekämpft diese Entzündung und führt zu einem Shift, also zu einer Veränderung, dass diese schlechte Entzündung in eine gute Entzündung übergeführt wird.
Seltmann: Herr Winkler, dieses Projekt mit den Zellen, die jetzt präventiv der Arthrose vorbeugen sollen, das ist so ein richtig multifaktorielles, interdisziplinäres Projekt. Da wird alles Mögliche untersucht, was diese Zellen alles können. Vielleicht können Sie dazu noch ein bisschen was erzählen.
Tobias Winkler: Wir haben schon erläutert, dass die Arthrose eben eine Erkrankung ist, die sehr vielfältig ist und die in sehr vielen Bereichen auch noch unverstanden ist. Und wir haben jetzt ein Konsortium zusammengestellt, in dem zum Beispiel die Genetiker eine ganz wichtige Rolle spielen, in der Aufklärung der genetischen Prädisposition, die mit existiert, und wie Patienten dann ansprechen. Wir haben eine große Biomarker-Plattform da drin mit begleitenden Studien, Wir haben internationale Partner dazu, eine Firma in Dänemark, die sich nur um Biomarker für Arthrose kümmert zum Beispiel, Das heißt, wir können hier tatsächlich, wenn ein Patient in dieser Studie mitmacht, den super charakterisieren, so wie wir es auch uns für die Zukunft für alle unsere Patienten vorstellen, damit wir genau sagen können: Du wirst jetzt reagieren, und bei dir müssen wir vielleicht auch eine Prothese machen, weil du auf diese biologischen Therapien nicht reagieren wirst. Oder wir haben noch andere Möglichkeiten aus dem regenerativen Therapiepotential oder -portfolio, die wir hier anwenden können.
Seltmann: Eine Methode aus dem regenerativen Potenzial, was Sie alles anbieten, ist auch die Bewegung. Ich habe ja vorhin gefragt, ob möglicherweise Leistungssportler mehr Arthrose haben als Couchpotatoes. Aber es gibt ja wahrscheinlich noch das große Feld dazwischen. Und eine regelmäßige Bewegung, sagt man, ist ja auch gut für die Knochen, für die Gelenke, um sie zu erhalten. Liegt da vielleicht das Potenzial dieser anderen Therapieformen, die Sie auch anbieten, der Bewegungstherapie, um Arthrose möglicherweise vorzubeugen?
Tobias Winkler: Sie sehen mich während Ihrer Frage schon nicken. Also die Bewegung ist ohne Zweifel eine der wichtigsten Sachen für die Gelenkhomöostase, also für das Gleichgewicht, in dem sich so ein Gelenk befindet und auch der Gelenkknorpel. Der Gelenkknorpel ist eine der wenigen Substanzen des Körpers, die gar nicht durchblutet ist, auch keine Nerven drin hat. Das sind Zellen, die könnte man selber als Couchpotatoes bezeichnen. Die sind ganz dick und rund, haben eine große Schicht Zytoplasma rund um sich. Und die müssen Druck ausgleichen einfach. Und die liegen da gemütlich in ihrer Substanz drin, manchmal eine, manchmal zu zweit, manchmal zu mehreren, und gleichen Druck aus. Und diese Ernährung geschieht über Diffusion. Also das heißt, über die Gelenkflüssigkeit und übers Blut wird das auch reingedrückt in den Knorpel. Und dafür spielt die Bewegung eine ganz wichtige Rolle. Wenn Sie Knorpel auch unbelastet lassen, wird er Ihnen das nicht danken, genauso wie es der Knochen nicht macht, der auch übrigens eine ganz wichtige Rolle spielt auch für die Arthrose-Entstehung und auch die Arthrose-Prävention tatsächlich. Also Sie brauchen Bewegung. Das sollte aber gesunde Bewegung sein. Also Extremstlasten auf die Gelenke sind dann wiederum natürlich kontraproduktiv. Das geht bis dahin, dass sogar manche Extrembelastungen im Berufsleben tatsächlich dann auch als Arbeitserkrankungen praktisch anerkannt werden, was Arthrose anbelangt. Die zum Beispiel gelenkschonendsten und auch besten Bewegungen sind so zyklische Bewegungen oder repetitive Bewegungen unter geringem Impact, wenn man das so haben möchte, also unter geringer Last.
Seltmann: Empfehlen Sie mal ein paar.
Tobias Winkler: Ja, die Klassiker sind natürlich Schwimmen, Radfahren, leichtes Joggen. Aber man muss ein bisschen aufpassen: Schwimmen zum Beispiel, also wenn ein Arthrose-Patient eine Kniearthrose hat, dann kann es sein, dass das Brustschwimmen mit dem Froschtempo praktisch eher kontraproduktiv ist, weil dadurch einen Moment auf das Knie kommt, das ihm wehtut. Und deswegen muss man da immer individuell auf die Leute auch eingehen, um zu schauen, welche Sportart und welches Lebensmodell tatsächlich für die Menschen am besten sind. Das Gute ist: Wenn man mal eine Arthrose hat, dann ist die Arthrose sowas wie ein eigener Biomarker, Das heißt, Patienten mit einer Arthrose wissen meistens schon, was ihnen nicht guttut. Wenn man ganz genau hört, dann erzählen sie einem auch das. die Gelenke melden sich eigentlich regelmäßig, wenn Sie irgendwas machen, was zum Beispiel nicht passt. Wenn Sie zum Beispiel mit einem falschen Schuh Tennis spielen gehen, der zu instabil ist, dann werden Sie das merken. Vielleicht, wenn Sie den Schuh wechseln, können Sie das dann trotzdem machen. Das sind so Dinge, da ist die Arthrose tatsächlich sehr dankbar.
Seltmann: Tun Sie selbst etwas, um der Arthrose vorzubeugen?
Tobias Winkler: Tja, ich meine, ich versuche, mich gesund zu ernähren. Das ist natürlich einmal ein ...
Seltmann: Was ist denn eine Ernährung, mit der man Arthrose positiv beeinflussen kann, also möglicherweise vorbeugen kann?
Tobias Winkler: Eine Ernährung, die die Arthrose oder die für die Arthrose als positiv einzuschätzen ist, ist eine antiinflammatorische Ernährung. Also das heißt, eine Ernährung, die Entzündungen im Körper nicht auslöst, sondern idealerweise sogar die bekämpft. Das sage ich jetzt als Nicht-Vegetarier. Es ist tatsächlich so, dass die vegetarische Ernährung da wesentlich besser ist als eine fleischliche Ernährung. Wir wissen, dass rotes Fleisch zum Beispiel schlecht ist, geräucherte Wurstwaren zum Beispiel hier für Inflammation sorgen Es gibt gewisse Proteine, zum Beispiel das Weizenkleberprotein, das auch zu Entzündungen führen kann. Nicht bei allen Menschen, aber doch.
Seltmann: Das ist das Gluten?
Tobias Winkler: Das Gluten, genau, das mittlerweile in allen Gazetten auch steht. Und auch der Alkohol natürlich ist ein Trigger oder ein Auslöser der Entzündung. Also eigentlich genau die Dinge, die mit uns oder mit denen die Gesellschaft bei uns kämpft, auch der Zucker ist ein ganz wichtiger Faktor hier, die sind natürlich auch für die Arthrose schlecht.
Seltmann: Und Sie haben schon gesagt, Sie sind Fleischesser, Sie halten sich also nicht ganz strikt an Ihre eigenen Empfehlungen?
Tobias Winkler: Also ganz strikt an meine eigenen Empfehlungen ... Das ist natürlich auch nochmal eine individuelle Sache. Eine balancierte Ernährung ist auch eine Ernährung, die man vertreten kann in meinen Augen auf jeden Fall, wenn man sich das im Hinterkopf behält, was ich gerade auch gesagt habe. Es gibt auch Leute, die haben eine Fructose-Intoleranz zum Beispiel, Patienten mit Laktose-Intoleranz und so weiter. Also das heißt, Sie müssen da schon mit jedem Einzelnen sprechen auch darüber, was dann seine oder ihre spezifische Ernährung angeht.
Seltmann: Was machen Sie denn so an Bewegung?
Ich spiele zum Beispiel Tennis, was ich schon erwähnt habe. Das ist eigentlich jetzt ein Sport, der bei vielen Patienten auch auf Gegenliebe stößt, den sie manchmal aber nicht machen können mehr, wenn sie eine Kniearthrose haben. Und wenn man sich jetzt einen Tennisspieler anschaut, den ich zum Beispiel gestern in der Sprechstunde hatte, gestern hatte ich sogar zwei Tennisspieler, die mir gesagt haben: Ich möchte wieder Tennis spielen können, das wäre das persönliche Ziel, und da habe ich gesagt: Das schauen wir uns mal an. Ich hoffe, dass wir das erreicht haben.
Seltmann: Wirkt die Bewegung eigentlich auch auf das Immunsystem?
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Tobias Winkler: Ja, also Sport im Maßen hat definitiv auch eine Wirkung, eine positive auf das Immunsystem, ja. Da gibt es zahlreiche Studien, die eine positive Auswirkung auch über die zum Beispiel Cortisol-Achse hier festgestellt haben. Also jeder Stress, den Sie im Leben zu bewältigen haben, der kann ja gut sein, kann aber auch schlecht sein, wenn es zu viel wird. Und Sport zum Beispiel kann diese Schwelle heben. Da gibt es sehr viele Daten dazu.
Seltmann: Jetzt haben Sie schon gesagt, die nächste Studie geht darum, die Zellen, diese mesenchymalen Stromazellen, auch zur Vorbeugung von Arthrose einzusetzen. Geht es denn jetzt hauptsächlich immer um das Kniegelenk oder um das Hüftgelenk?
Tobias Winkler: Ja, also ich bin ja als Orthopäde und Unfallchirurg sozusagen für alle Gelenke zuständig. Der Grund, warum ich hier jetzt das Kniegelenk und das Hüftgelenk so oft erwähnt habe, ist einfach, weil diese aufgrund der Belastung dieser Gelenke sehr häufig in Arthrose involviert sind. Die Schulter ist weitaus weniger häufig arthrotisch verändert, aber noch bei reichlich Patienten natürlich. Der Ellenbogen, vorwiegend nach Trauma zum Beispiel oder im Rahmen eben von rheumatischen Erkrankungen. Dass das mit der Belastung aber eben nicht ganz so ist und dass das nicht der einzige Grund ist und dass die Biologie und die persönliche Komposition, wenn man das so sagen darf, des Patienten oder der Patientin eine wesentliche Rolle spielt, sehen Sie zum Beispiel darin, dass wiederum das Sprunggelenk eher posttraumatisch wiederum arthrotisch verändert wird oder postarthritisch und nicht nur durch die Belastung, obwohl es ja die gleiche haben müsste wie eben das Knie oder die Hüfte.
Tobias Winkler: Kann man als ganz normaler Patient bei Ihnen diese Zelltherapie schon bekommen oder befindet die sich noch in der Studienphase?
Tobias Winkler: Die Zelltherapie befindet sich noch in der Studienphase. Das, was wir aktuell Patienten in der regenerativen Sprechstunde anbieten, sind verschiedene Plasmatherapien, also wo das Plasma aus Eigenblut gewonnen wird. Das ist eine ambulante Prozedur, die wir bei verschiedensten Erkrankungen des Bewegungsapparats als entzündungshemmende Therapie einsetzen, die wir auch intensiv beforschen natürlich. Aber das ist etwas, was wir aktuell einsetzen. Könnte man auch als Zelltherapie bezeichnen, weil in diesem Plasma neben den Thrombozyten auch noch Leukozyten drin sind, die auch dazu beisteuern, dass diese schlechte Entzündung zu einer guten Entzündung wird, ist aber per definitionem eigentlich eine Plasmatherapie. Aber das ist das, was wir aktuell einsetzen. Zelltherapien werden im Rahmen von Studien eingesetzt. Das sind immer randomisiert kontrollierte Studien, das heißt, da werden Patienten eingeschlossen, die dann entweder das Therapeutikum, also die Zelltherapie erhalten oder auch Placebo. Und im Nachhinein liest man dann aus, was welcher Patient bekommen hat, und analysiert dann die Ergebnisse.
Seltmann: Dann wünschen wir Ihnen alles Gute für die neue Studie, dass da spannende Ergebnisse herauskommen. Und ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.
Tobias Winkler: Ja, vielen Dank.
Seltmann: Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institut of Health in der Charité, dem BIH. Prof. Tobias Winkler erklärte, was man gegen Arthrose tun kann. Falls auch Sie eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an podcast@bih-charite.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal, sagt Stefanie Seltmann.