Aus Forschung wird Gesundheit

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BIH_Podcast_43_Wie gut sind wir gegen Corona geschützt?

Interviewpartner: Prof. Leif-Erik Sander, Leiter der Klinik für Infektiologie und Pneumologie an der Charité, sowie Leiter der Arbeitsgruppe für personalisierte Infektionsmedizin am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH).

Seltmann: Willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“, dem Podcast aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Wir wollen in diesem Podcast Fragen zur Gesundheit beantworten und ein bisschen aus der Gesundheitsforschung berichten. Mein Name ist Stefanie Seltmann.

Seltmann: Heute bin ich zu Gast bei Professor Leif-Erik Sander, dem Leiter der Klinik für Infektiologie und Pneumologie an der Charité, und Herr Sander leitet ebenfalls die Arbeitsgruppe für personalisierte Infektionsmedizin am BIH. Guten Tag, Herr Prof. Sander.

Sander: Hallo Frau Seltmann.

Seltmann: Herr Prof. Sandner, es ist jetzt Herbst, und die Corona-Zahlen steigen wieder. Wenn man jemanden trifft und fragt: „Wie geht es dir mit Corona?“, lautet oft die Antwort: „Dreimal geimpft, einmal genesen.“ Reicht das?

Sander: Ja, also im Prinzip ist es tatsächlich relativ einfach: Leute, die nicht unter die aktuelle STIKO-Empfehlung für eine vierte Impfung, also für eine zweite Auffrischungsimpfung fallen, also Menschen, die jüngeren Alters sind, keine schweren Vorerkrankungen haben, nicht ein besonderes Expositionsrisiko haben, da kann man erstmal festhalten, dass es für das Risiko eines akuten schweren Verlaufs, also Lungenversagen, schwerste Organkomplikationen akut, dass die mit einer dreifachen Impfung sehr gut geschützt sind vor diesen Komplikationen. Viele von uns haben sich ja zusätzlich noch infiziert. Und Arbeiten unter anderem auch aus unserer Arbeitsgruppe, aber auch von vielen anderen Arbeitsgruppen haben zeigen können, dass eine Infektion bei geimpften Personen, also sogenannte Durchbruchinfektionen, auch eine starke Booster-Wirkung hat. Also das hebt die Antikörperspiegel an, führt aber auch zu einer Verbreiterung der Antikörperantwort. Von daher kann man das durchaus mitzählen. Also wenn jemand drei Impfungen hatte und zusätzlich eine Durchbruch-Infektion hatte, ist es wie vier Impfungen – es sei denn, eine Impfung und eine Infektion folgen unmittelbar aufeinander. Dann kann es sein, dass laufende Reifungsprozesse im Immunsystem gar nicht wirklich großartig angeschoben werden. Aber wenn es da einen gewissen Abstand gab, sagen wir mal so drei Monate, dann hat das eine starke boosternde Wirkung. Und von daher sind diese Menschen mit vier Antigenkontakten erstmal sehr gut geschützt. Jetzt wird es immer komplizierter mit den Coronaviren, das Coronavirus entwickelt sich immer weiter, entfernt sich immer mehr von dem ursprünglichen Coronavirus, für dass die Impfung gemacht wurde. Und es tut dies unter dem Druck von unserer Immunität und weicht immer stärker der Immunantwort aus. Und deswegen zum Beispiel die jetzt zirkulierende BA5-Subvariante von Omikron, die hat eine sehr starke Immunfluchttendenz. Deswegen kann es sein, dass selbst, wenn man geimpft und auch beispielsweise nochmal in der ersten Omikron-Welle, BA1-Welle, infiziert war, dass man sich trotzdem nochmal mit BA5 infizieren kann.

Seltmann: Das heißt, Sie würden manchen Menschen die Impfung auch schon empfehlen? Sie haben jetzt ja gesagt, wem Sie es nicht empfehlen würden. Wem würden Sie es denn empfehlen?

Sander: Also es ist tatsächlich so, generell stellt sich erstmal die Frage: Brauche ich eine weitere Auffrischungsimpfung? Leute, die bisher nur zweimal geimpft sind, kann man relativ pauschal sagen: Ihr solltet die dritte Impfung machen. Das wissen wir seit dem letzten Herbst ungefähr, dass man eigentlich erst mit drei Impfungen den kompletten Schutz hat. Aus unseren Erfahrungen so im Alltag, wir sehen jetzt so peu à peu auch wieder Patienten auf der Station, auch mit Lungenentzündung, auch die mal wieder Sauerstoff brauchen, da sind immer wieder Menschen dabei, die drei Impfungen hatten. Das ist sicherlich nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Aber das Gros der Leute ist mit den drei Impfungen sehr gut vor diesen akuten Komplikationen geschützt. Die STIKO definiert darüber hinaus bestimmte Gruppen, die brauchen eine vierte Impfung. Das basiert vor allen Dingen auf Daten, die man in Israel, aber auch in den USA erhoben hat: dass nämlich Menschen mit bestimmten Risikofaktoren, sprich Menschen über 60 Jahre zum Beispiel, Menschen mit Vorerkrankungen, zum Beispiel bestimmten Krebserkrankungen, oder auch die immunschwächende Medikamente einnehmen oder schwere Lungenerkrankungen haben, dass man diesen Menschen eine vierte Impfung empfehlen kann und sollte, weil sie statistisch das Risiko, schwer zu erkranken und auch zu versterben, nochmal deutlich senkt. Und basierend auf diesem reduzierten Risiko gilt halt für die Gruppen, die ich gerade aufgezählt habe, die Empfehlung, eine vierte Impfung machen zu lassen. Wichtig dabei ist, dass man auch die Infektionsereignisse, das hatten wir gerade besprochen, auch mitzählt. Also jemand, der drei Impfungen hat, jetzt aber kürzlich noch genesen ist, braucht nicht, obwohl formal die Kriterien für eine vierte Impfung erfüllt sind, sich jetzt unmittelbar impfen lassen, sondern ich würde Infektionsereignisse auch mitzählen. Und insbesondere die Menschen, die jetzt im Sommer sich angesteckt haben, da hat die BA5-Variante die überwiegende Mehrheit der Infektionen ausgelöst und ist auch die Variante, die jetzt gerade noch dominant ist und sehr viele Infektionen auslöst, wenn man davon gerade genesen ist, braucht man jetzt nicht unmittelbar eine Auffrischungsimpfung.

Seltmann: Wenn jetzt dieser neue Impfstoff auf die neue Omikron-Variante zielt, braucht man dann eigentlich wieder drei Impfungen von diesem neuen Impfstoff, um die volle Wirkung zu erzielen?

Sander: Nein, wir haben mit den existierenden Impfungen eine sehr, sehr gute Grundimmunität aufgebaut. Das heißt, wir haben sehr gute Antikörper, die das Coronavirus erstmal erkennen können. Nicht alle von denen können das Coronavirus auch neutralisieren, sprich Infektionen verhindern. Aber viele von diesen Antikörpern, die meisten, die können eben weiterhin das Coronavirus sehr gut binden. Auch wenn es neue Varianten gibt, binden die trotzdem noch an das Coronavirus und können dem Immunsystem signalisieren, dass ein Coronavirus da ist. Und dann können auch Abwehrmechanismen gestartet werden. Außerdem haben wir die T-Zellen, die wir durch die Impfung gebildet haben, weiterhin sehr gut das Coronavirus erkennen und auch zum Großteil dazu beitragen, dass schwere Verläufe verhindert werden können. Jetzt ist es aber so, dass gerade dieser kleine Teil der Antikörper, der gegen einen bestimmten Teil des Spike-Proteins gerichtet ist, mit dem das Virus dann nicht mehr an unsere Zellen sich anheften kann, dass diese Stellen im Spike-Protein, dass die jetzt stark verändert werden durch das Coronavirus, sodass dieser kleine Teil neutralisierende Antikörper nicht mehr gut binden kann. Durch adaptierte Impfstoffe oder beispielsweise auch eine Durchbruchinfektionen mit einer Omikron-Variante werden, und das konnten wir und viele andere Leute auch zeigen insbesondere bei den Durchbruchinfektionen, werden auch neue Antikörper gebildet und werden die Antiköperantworten verbreitert, sodass zusätzliche Antikörper entstehen, die auch die neuen Varianten wieder neutralisieren können. Und die würden auch nach einer einzelnen Impfung basierend auf dieser Grundimmunität gebildet. Und deswegen sind jetzt nicht erneut drei Impfungen erforderlich. Wir starten also nicht bei null, wir haben eine gute Immunität, und die gilt es noch sozusagen zu optimieren.

Seltmann: Wird man denn bald schon die nächste Impfung gegen die nächste Variante brauchen? Was sagen Sie denn voraus, wie soll das denn jetzt weitergehen?

Sander: Also momentan sind ja zwei unterschiedliche Varianten-adaptierte Impfstoffe verfügbar. Und in beiden dieser Impfstoffe ist die Hälfte des ursprünglichen Impfstoffs drin, und in der anderen Hälfte ist ein an Varianten adaptierter Impfstoff drin. Das heißt, die mRNA ist von diesen 1270 Bausteinen, die sie enthält, an ungefähr 30 Stellen verändert im Verhältnis zu dem Ursprünglichen. Da sieht man, das ist eine kleine Anpassung. Die ist aber wichtig für die Immunantwort für den BA1-Impfstoff. Und da sind wir sozusagen bei der ersten Variante, die enthält eine an BA1 adaptierte mRNA. Und der zweite Impfstoff, den es jetzt kürzlich sozusagen seit kurzem gibt, der enthält zur Hälfte das Wildtyp-Spike und zur anderen Hälfte eine BA5-adaptierte mRNA, die nochmal an drei Stellen ungefähr angepasst wurde. Und wenn man sich zwischen diesen beiden entscheiden muss, würde ich persönlich zu dem an BA5 adaptierten Impfstoff tendieren. Erstens ist es die Variante, die jetzt zirkuliert. Wenn man also jetzt frisch geimpft ist, hat man damit sicherlich erstmal für eine gewisse Zeit ein reduziertes Risiko, sich überhaupt anzustecken, und dann auch spezifische Antikörper. Und wir sehen auch, das Virus entwickelt sich leider noch weiter, entweicht nochmal stärker der Immunantwort. Und viele dieser Linien, die auch wirklich eine starke Immunflucht zeigen, die entwickeln sich aus der BA5-Linie heraus oder aus der BA2.75-Linie heraus. Und die sind immer noch etwas näher an der BA5, als an dieser BA1-Variante. Und mit der BA1-Variante haben wir eigentlich momentan nichts mehr zu tun. Wenn man sich jetzt schon eine Auffrischung geholt hat mit dem BA1-Impfstoff bivalent oder sogar mit dem ursprünglichen monovalenten Impfstoff, ist das kein Problem. Auch das erhöht den Schutz deutlich. Das ist eine gute Sache, damit hat man sich etwas Gutes getan, das ist kein Fehler. Aber wenn man jetzt momentan die Auswahl hat, würde ich persönlich zu dem BA5-Impfstoff tendieren.

Sander: So, jetzt zu der Frage, ob wir weitere Anpassungen bekommen werden. Ich denke, das ist durchaus der Fall. Wir wissen noch nicht, welche von diesen Immunfluchtvarianten, die sich jetzt gerade entwickeln ... An vielen Orten auf der Welt entwickeln sich neue Virusvarianten, die aber immer wieder die gleichen Veränderungen im Erbgut zeigen. Und das heißt, sogenannte konvergente Mutationen. Das heißt, für das Virus bleiben auch gar nicht mehr so viele Auswege, aber an bestimmten Stellen, da scheint es für das Virus vorteilhaft zu sein, das Spike-Protein zu verändern und dann wiederum den neutralisierenden Antikörpern auszuweichen. Und die zeigen dann teilweise wirklich sehr starke Immunevasionseigenschaften. Und eine von diesen oder auch mehrere von diesen Varianten wird sich diesen Winter durchsetzen und wird wieder zu neuen Infektionswellen führen. Und die werden meines Erachtens auch ausgeprägt sein, diese Infektionswellen. Und dann angesichts vieler Erkrankter und möglicherweise auch hoher Personalausfälle usw. und dem, was eben da in dem Rahmen auftreten wird, kann ich mir gut vorstellen, dass es auch sinnvoll sein kann, einen Impfstoff nochmal zu adaptieren. Ob den dann jeder braucht oder für wen der infrage kommt, das vermag ich jetzt gar nicht zu sagen. Wir wissen auch noch gar nicht, welche dieser Varianten sich durchsetzt. Wir wissen auch noch gar nicht, ob und wie stark die krankmachenden Eigenschaften dieser Viren verändert sind. Also das ist alles hypothetisch. Aber ich würde das nicht ausschließen. Und man kann hoffen dadurch, dass die Varianten immer an bestimmten Stellen verändert sind, dass die Firmen hierauf schon Rücksicht nehmen und vielleicht sogar sogenannte multivalente Stoffe machen, wo unterschiedliche dieser Varianten bedacht sind, weil durchaus sein kann, dass mehrere von denen zirkulieren. Von daher, das ist ein Szenario, was durchaus auf uns zukommen kann, aber es ist ganz, ganz schwierig, in der jetzigen Situation vorherzusagen, welche Variante kommt und ob man dagegen impfen muss nochmal.

Seltmann: Jetzt, wo wieder mehr Zusammenkünfte erlaubt sind, wo die Kneipen geöffnet haben, Konzerte stattfinden, gibt es auch mehr ganz normale Erkältungskrankheiten, aber auch mehr Grippefälle. Empfehlen Sie auch eine Grippeimpfung

Sander: Also das ist in der Tat richtig: die anderen Atemwegserreger sind natürlich nicht weg. Im Gegenteil, wie Sie schon gesagt haben, die Leute haben wieder mehr Kontakte, als sie das vielleicht in den Vorjahren hatten, was vollkommen normal und richtig ist. Und dadurch verbreiten sich auch diese anderen Viren. Gegen viele dieser Viren können wir gar nicht impfen, das sind Erkältungsviren, die wir kennen, die trotzdem unangenehm sein können. Aber das Grippevirus wird auch vermutlich wiederkommen. Und wir sehen auch schon einen Anstieg der Fälle, und aus einzelnen Regionen wird auch schon ein etwas steilerer Anstieg berichtet. Durchaus kann das auch dann zu einer größeren Grippewelle führen. In Australien, die ja quasi ihren Winter jetzt in unserem Sommerhalbjahr hatten, sah man eine sehr steile, sehr spitze, relativ frühe Grippewelle. Und deswegen würde ich auch empfehlen, jetzt auch demnächst eine Grippeschutzimpfung durchzuführen. Die Impfstoffe stehen zur Verfügung. Vielleicht kann man das auch, wenn es in Frage kommt, kombinieren mit einer Auffrischungsimpfung gegen Corona. Das kann man machen. Also das ist definitiv so, dass ich auch eine Grippeschutzimpfung empfehlen würde.

Seltmann: Entschuldigung, das kann man gemeinsam mit der Corona-Impfung machen? Das macht nichts?

Sander: Das kann man machen. Das hat man im letzten Jahr auch so empfohlen, zunächst ohne Vorwissen, ob das eine gute Kombination ist. Das hat sich aber gezeigt. Wenn überhaupt, kann das sogar einen leichten Vorteil haben, sicherlich keinen Nachteil. Aus meiner Sicht kann man aber auch, das wird in der Regel so gemacht, zwei Wochen Abstand halten, wenn sich das logistisch machen lässt und man vielleicht in zwei Wochen sowieso wieder hin muss. Dann kann man diese zwei Wochen Abstand einhalten, weil vermutlich dann die Impfreaktionen etwas milder ausfallen. Das kann man sich ja vorstellen, wenn man zwei Impfungen gleichzeitig bekommt, ist die Impfreaktion in der Regel stärker ausgeprägt, als wenn man nur eine bekommt. Und dann weiß man auch nicht so richtig, auf was man reagiert hat. Von daher kann man diesen Abstand einhalten. Für viele Menschen ist es aber logistisch so, dass sie nicht ständig dazu kommen, zur Ärztin oder zum Arzt zu gehen, und dann kann man das kombinieren. Das ist besser, man hat die Impfungen dann drin, als dass man wegen einer möglichen sozusagen Aufsplittung dann die eine Impfung nicht wahrnehmen kann.

Seltmann: Ich möchte auch noch gern auf die aktuell verfügbaren Medikamente zu sprechen kommen. Das bekannteste ist derzeit das Paxlovid, das wirkt angeblich nur am Anfang der Infektion. Warum eigentlich?

Sander: Also es ist so, dass alle antivirale Medikamente, die in die Replikation, also in den Vermehrungszyklus des Virus eingreifen, dass die früh gegeben werden müssen. Und das liegt einfach an der Natur dieser Virusinfektion. Dieses Virus, wenn es uns infiziert, dann repliziert es sich früh sehr, sehr stark, also wir kriegen sehr schnell hohe Viruslasten. Und sogar, bevor wir überhaupt Symptome entwickeln. Und deswegen ist es gerade wichtig, in dieser Zeit, wo das Virus sich stark vermehrt, möchte man ja gerne den Effekt erzielen, dass man die Vermehrung bremst. Wenn man erst sehr spät so ein Medikament gibt, dann ist die Virusvermehrung eigentlich schon auf dem Rückzug. Und deswegen können diese Medikamente einfach aus logischen Überlegungen gar nicht mehr gut wirken. Und das sieht man dann eben auch: Je früher diese Medikamente gegeben werden, desto besser ist der Effekt, den sie haben können. Paxlovid ist der Handelsname. Das sind zwei Medikamente, die da in zwei Tabletten, aber in einer Packung sozusagen gegeben werden. Und bei einem anderen Medikament, dem Remdesivir, das intravenös gegeben wird, auch da ist es so: Je früher Sie das geben, desto besser ist der Effekt, einfach weil sie dann diesen steilen Anstieg der Virusvermehrung versuchen zu bremsen und dann auch die Schäden, die das Virus verursachen kann, abbremsen können.

Seltmann: Am Anfang weiß man ja aber noch nicht so genau, wie schwer man erkranken wird. Wäre es dann sinnvoll, sich zuhause einen Vorrat anzulegen oder möglichst bei den ersten Symptomen sofort zum Arzt zu gehen und zu fragen, ob man das Medikament bekommt?

Sander: Also bevorraten sollte man das Medikament sicher nicht. Das sind ja teure Medikamente. Jetzt ist es so, dass wir das derzeit zur Verfügung gestellt bekommen. Jeder kann das bekommen, das wird vom Staat zur Verfügung gestellt, das Medikament. Wenn sie zur Risikogruppe gehören, sich infiziert haben, dann können sie das bei ihren Hausärzten nachfragen, das Medikament, und dann kann das Medikament in der Frühphase geben werden. Es gibt so ein paar Dinge zu beachten: Das Medikament hat Interaktionen mit anderen Medikamenten, weil es die gleichen Abbauwege in der Leber benutzt. Und dadurch können zum Beispiel die Spiegel von anderen Medikamenten unkontrolliert hochgehen oder verlängert werden. Bei den allermeisten Medikamenten spielt das keine Rolle, weil dieses Medikament in der Regel nur fünf Tage gegeben wird. Und deswegen ist es in der Regel kein Problem, entweder für die fünf Tage das andere Medikament zu pausieren oder auch die Auswirkungen dieser Interaktionen sind nicht so ausgeprägt. Es gibt aber bestimmte Medikamente, wo man wirklich aufpassen muss und wo man dann eben abwägen muss, gebe ich überhaupt dieses Paxlovid oder kann ich darauf verzichten.

Seltmann: Gibt es denn eine Alternative?

Sander: Es gibt eben auch die Alternative, das nennt sich Remdesivir. Das ist aber ein Medikament, was Sie intravenös geben müssen. Das ist natürlich etwas aufwendiger, weil die Patienten irgendwo hinkommen müssen. Die sind in der Zeit infektiös. Deswegen ist es schwierig, das in der Arztpraxis durchzuführen. Man kann es bei Patienten mit sehr hohem Risiko, die vielleicht auch schon bestimmte Symptome zeigen, dann stationär machen, wo man sagt, das ist wirklich heikel. Vielleicht ein Patient mit einer Lungentransplantation oder kurz vor so einer Lungentransplantation oder Ähnlichem, also schwersten Grunderkrankungen. Da sagt man, das ist ohnehin ein Problem, selbst wenn die eine milde Infektion haben, ist der Allgemeinzustand kritisch. Dann können diese Patienten auch stationär aufgenommen werden und können das Medikament intravenös bekommen. Das gibt man dann an drei Tagen hintereinander. Und dann hat das eigentlich eine ähnlich gute Wirkung.

Seltmann: Jetzt hat man auch schon gehört von Patientinnen und Patienten, die haben dieses Paxlovid bekommen und nach fünf Tagen dann abgesetzt, und dann ging es nochmal los mit der Infektion, weil das Virus noch nicht endgültig verschwunden war. Kann man dem irgendwie vorbeugen?

Sander: Also das ist in der Tat ein sogenannter Rebound-Effekt, dass man die Virusvermehrung hemmt, aber dass eben noch diese Infektion noch nicht komplett eradiziert ist. Und dann, wenn die Wirkung des Medikaments nachlässt, dann gibt es nochmal so einen Schub. Eigentlich gibt man aber in der Zeit, wo man die Virus-Replikation hemmt, dem Immunsystem einen Vorsprung, um dann sozusagen das Virus abzuräumen. Und bei einigen Menschen entstand aber so ein Fenster, wo das Immunsystem vielleicht noch nicht ganz so effektiv angesprungen ist und dann das Virus nochmal hochkommt. In der Regel ist das kein Problem, kann aber natürlich ein Problem sein bei Menschen, die ein schwaches Immunsystem haben, geschwächt durch bestimmte Medikamente oder Erkrankungen. Und da hat man dann in Einzelfällen auch schon mal länger dieses Medikament gegeben, um einfach länger die Virushemmung zu machen. Also das ist ein Phänomen, das man kennen muss, dass das auftreten kann. Kennt man auch von anderen Viruserkrankungen zum Beispiel. Ist kein generelles Problem, aber man muss es einfach wissen.

Seltmann: Besteht eigentlich da auch die Gefahr von Resistenzen, so wie man es bei Antibiotika bei Bakterien kennt?

Sander: Dadurch, dass wir das Medikament ja relativ kurz einsetzen, ist zunächst mal die Gefahr von Resistenzen ... sehe ich die Gefahr nicht als so hoch an. Allerdings will ich das nicht ausschließen. Natürlich können auch Viren Resistenzen gegen Medikamente entwickeln. Und das ist sicherlich hier auch möglich. Allerdings wie gesagt, es ist häufiger so, dass Resistenzen sich entwickeln, wenn eine Virusinfektion chronisch ist und man das Medikament über eine lange Zeit gibt. Dann haben Abkömmlinge des Virus Zeit, dagegen per Zufall Mutationen zu bilden, die dann resistent sind gegen diese antivirale Wirkung. Sehe ich momentan nicht so als gegeben an. Aber das ist sicherlich nichts, was man ausschließen kann.

Seltmann: Empfehlen Sie das Tragen von Masken weiterhin?

Sander: Also Masken sind, wie andere Maßnahmen auch, ein Mittel, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu reduzieren. Es schützt im Übrigen auch vor anderen Erkältungsviren, natürlich auch vor dem Grippevirus. Von daher sind Masken wirksam. Und in bestimmten Situationen getragen, können sie Infektionen verringern. Wir werden wieder sehr, sehr viele auch Coronavirus-Infektionen kriegen. Die aller-, allermeisten von uns sind sehr, sehr gut geschützt vor den schweren akuten Folgen. Trotzdem ist es wichtig, dass wir nicht alle gleichzeitig erkranken. Das führt dazu, dass wieder unsere kritische Infrastruktur und auch unsere Krankenhäuser nicht wirklich gut funktionieren können und viele Bereiche des Lebens eingeschränkt sein können und natürlich auch es zu Folgeschäden kommen kann durch eine Infektion. Von daher sind Masken in bestimmten Settings weiterhin sinnvoll. Wir in der Klinik tragen weiterhin in allen Innenräumen Maske, weil wir natürlich Infektionen auch innerhalb des Personals möglichst geringhalten wollen. Ganz vermeiden wird man sie nicht können, aber die Masken sind ein Baustein, und dann kommen eben andere Bausteine hinzu. Wobei dieses Virus natürlich immer mehr auch endemisch wird, also hier heimisch wird, und immer wieder neue Infektionswellen ja macht. Was sich aber irgendwann, wenn sozusagen die Bevölkerung durch Impfung, durch Infektion und die Kombination von beidem eine immer stärkere Immunität entwickelt, hoffentlich immer seltener zu solchen Wellen führt. Aber momentan sind wir noch in einer Phase, wo wir sehr schnelle aufeinander abfolgende und teilweise noch sehr hohe und starke Infektionswellen haben.

Seltmann: Gut, dann hoffen wir mal, dass wir alle gut durch die Wintersaison kommen, und ich sage danke für das interessante Gespräch.

Sander: Sehr gerne, das wünsche ich Ihnen auch.

Seltmann: Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Prof. Leif Erik Sander erklärte, wie man sich vor der nächsten Corona-Welle schützen kann. Sie können das Interview auch noch einmal nachlesen auf www.bihealth.org. Falls Sie eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an podcast@bih-charite.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal, sagt Stefanie Seltmann.