Aus Forschung wird Gesundheit.
BIH_Podcast_48_Kann eine Gentherapie gegen Epilepsie helfen?
Interviewpartnerin: Professorin Regine Heilbronn, Leiterin der AG Gentherapie in der Klinik für Neurologie und experimenteller Neurologie der Charité
Seltmann: Herzlich willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“, dem Podcast aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Wir beantworten in diesem Podcast Fragen zur Gesundheit und berichten gleichzeitig über Aktuelles aus der Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann.
Seltmann: Heute bin ich zu Gast bei Professorin Regine Heilbronn. Sie leitet die AG Gentherapie in der Klinik für Neurologie und experimentelle Neurologie der Charité. Mithilfe von Charité BIH Innovation hat sie die Firma EpiBlok Therapeutics GmbH gegründet, mit der sie eine Gentherapie für Epilepsiepatientinnen und -patienten entwickeln möchte.
Seltmann: Frau Prof. Heilbronn, eigentlich sind Sie Virologin, arbeiten in der Neurologie und interessieren sich für die Epilepsie. Wie kommt das?
Heilbronn: Ich bin Virologin, richtig. Ich arbeite seit vielen Jahren über eine Virusgruppe, die sich AAV-Viren nennt, die als Genvektoren gut geeignet sind. Und ich bin in Kontakt gekommen mit Neuropharmakologen an der Universität Innsbruck. Christoph Schwarzer, der jetzt mein Projektpartner ist, hatte ein sehr interessantes Epilepsiemodell, wo er zeigen konnte, dass bestimmte Neuropeptide die Epilepsie unterdrücken. Und wir haben gemeinsam überlegt, ob man diesen Befund nutzbar machen kann, indem man mit viralen Vektoren genau dieses Neuropeptid an den Ursprung der Epilepsie bringt, um daraus eine Therapie zu entwickeln. So bin ich zur Epilepsie gekommen.
Seltmann: Fangen wir noch mal ganz vorne an mit der Epilepsie. Das ist eine Krankheit, die so ein bisschen unheimlich ist, weil die Betroffenen plötzlich und scheinbar ohne Vorwarnung einen Krampfanfall erleiden. Was genau ist denn da los?
Heilbronn: Es gibt viele Formen von Epilepsie, aber grundsätzlich gemeinsam ist, dass es eine Dysbalance gibt zwischen erregenden Aktivitäten im Gehirn und dämpfenden Aktivitäten. Das kann verschiedenste Ursachen haben, aber diese gemeinsame Endstrecke kann dazu führen, dass sich die erregende Aktivität so aufschaukelt, dass es zu einem Anfall kommt. Und ein solcher großer Anfall, ein Grand-mal-Anfall, ist tatsächlich sehr beängstigend für die umgebenden Personen, weil aus heiterem Himmel die Patienten umfallen und krampfen und man dasteht und nicht so richtig weiß, was man jetzt eigentlich tun kann. Die Betroffenen selber spüren das zwar nicht, aber können sich natürlich schwere Verletzungen und andere Dinge zuziehen in einem solchen Krampfanfall. Das ist beängstigend, in der Tat. Viele Betroffene fühlen sich beschämt dadurch, dass ihnen so ein Kontrollverlust passiert. Und das ist eine extreme Bürde für die Patienten.
Seltmann: Wie kann man den Betroffenen denn im Moment helfen?
Heilbronn: Es gibt eine große Palette an Antiepileptika, also an Medikamenten, die gegen Epilepsie wirken. Und in vielen Fällen helfen die auch sehr gut, und die Krampfanfälle können verhindert werden. Das ist aber nicht in allen Fällen so. Und bei einer bestimmten Form der Epilepsie, der sogenannten fokalen Epilepsie, helfen die besonders häufig nicht. Bei der fokalen Epilepsie ist es so, dass es eine ganz bestimmte Stelle im Gehirn gibt, von der die Anfälle immer wieder ausgehen. Die Ursache dafür ist meistens erworben. Die Patienten haben vielleicht mal einen Fieberkrampf gehabt. Es gibt Infektionen, die zu so etwas führen. Besonders häufig sind Unfallfolgen, schwere Schädel Hirntraumata, die dazu führen können, dass es strukturelle Veränderungen im Gehirn gibt, die an einer bestimmten Stelle dann zu dieser beschriebenen Dysbalance führen, und dass immer an dieser Stelle dann die Anfälle entstehen. Und diese Form von Epilepsie ist besonders schwer behandelbar mit Antiepileptika. Es ist so, dass schon zu Beginn der Erkrankung mindestens ein Drittel der Patienten auf keines der verfügbaren Medikamente ansprechen. Und es gibt dann eigentlich nur eine Alternative, die ihnen potenziell helfen kann: Das ist, diesen Fokus durch Epilepsie-Chirurgie, durch einen großen neurochirurgischen Eingriff entfernen zu lassen. Das geht nicht immer, je nachdem, was für andere Strukturen in der Nähe sind. Aber selbst in den Fällen, wo man das machen kann, ist nicht garantiert, dass die Patienten anschließend anfallsfrei werden. Und damit bleiben sehr, sehr viele Patienten übrig, denen man mit keiner der vorhandenen Therapien gut helfen kann und die massiv leiden unter den Langzeitfolgen der Erkrankung.
Seltmann: Das heißt, dieser Fokus bei der fokalen Epilepsie, der kann mal da, mal dort liegen?
Heilbronn: Richtig. Das ist so. Da gibt es verschiedene Hirnregionen, in denen das der Fall sein kann. Die häufigste Form der fokalen Epilepsie ist die sogenannte Temporal-lappenepilepsie. Da sitzt der Fokus im Hippocampus. Das ist der Ort von Lernen, Gedächtnis und Emotionskontrolle. Und wenn diese Epilepsie nicht ausreichend behandelt wird, erleben viele Patienten sehr schwerwiegende Langzeitfolgen: Gedächtnisverluste, Einschränkung der Lernfähigkeit. Viele Patienten werden depressiv, stumpfen ab. Die Suizidneigung ist auch sehr hoch. Das ist ein trauriges Leben. Und die Langzeitfolgen sind für Patienten und Angehörige oft viel schwerer zu ertragen als die Anfälle selbst.
Seltmann: Wie viele Menschen sind denn davon betroffen?
Heilbronn: Also die Epilepsie insgesamt, da geht man von einer Inzidenz, also einem Vorkommen weltweit, von ungefähr 0,5 bis 1 Prozent aus. Aber diese fokale Epilepsie, über die wir arbeiten, und vor allen Dingen diese Temporallappenepilepsie macht ungefähr 30 Prozent aller Fälle aus. Das bedeutet, wenn man das jetzt auf Deutschland zum Beispiel umrechnet: Zirka 100.000 Patienten sind chronisch an der Krankheit erkrankt. Und von denen sprechen mindestens 30 bis 40 Prozent nicht auf Medikamente an.
Seltmann: Jetzt haben Sie schon erzählt, Sie entwickeln gemeinsam mit Ihrem Kollegen aus Österreich, aus Innsbruck, Herrn Prof. Schwarzer, eine Gentherapie gegen Epilepsie. Wie genau ist denn die Idee, dass diese Gentherapie funktionieren soll?
Heilbronn: Die Funktionsweise muss man sich so vorstellen: Wir entwickeln einen Genvektor.
Seltmann: Also ein Transportmolekül?
Heilbronn: ja, wir entwickeln einen Genvektor, der die Informationen für das schützende Neuropeptid Dynorphin transportieren kann. Und dieser Genvektor wird fokal in den epileptischen Fokus appliziert. Einmalig. Ein minimalinvasiver Eingriff. Und dort können diese Neuropeptide produziert und gespeichert werden. Und sie werden nur dann freigesetzt und aktiv kurz vor einem Anfall. Das heißt, der Trigger für die Freisetzung ist die hochfrequente Erregung unmittelbar vor einem Anfall. Das heißt, die Peptide werden dauerhaft produziert in den Neuronen, aber sie sind dort nicht aktiv. Sie müssen freigesetzt werden. Und das passiert immer nur dann, wenn ein Anfall kommt. Egal, wie häufig, sei das einmal am Tag, einmal in der Woche oder einmal im Monat.
Seltmann: Das hört sich sehr, sehr spannend an. Und da waren jetzt aber so einige Punkte in Ihrer Erklärung, bei denen ich gerne noch ein bisschen nachfragen würde. Fangen wir mal an mit dem Genvektor. Da kommen, glaube ich, Ihre virologischen Spezialkenntnisse ins Spiel.
Heilbronn: Ja, das ist ein sogenannter AAV-Vektor.
Seltmann: AAV ist eine Abkürzung wofür?
Heilbronn: Das ist eine Abkürzung für Adeno-assoziierte Viren. Das ist eine Virusgruppe, die sich als Vektor, als Transportvehikel für Fremdgene besonders gut eignet und inzwischen für sehr viele Krankheiten angewandt wird. Es gibt auch bereits zugelassene Gentherapien, die auf diesem Vektor, auf dieser Vektorklasse beruhen. Über diese Viren und die entsprechenden Vektoren arbeite ich seit über 20 Jahren. Und was war jetzt Ihre Frage?
Seltmann: Wie dieser Genvektor aufgebaut ist.
Heilbronn: Der Genvektor ist so aufgebaut, dass praktisch nur das Gen für das schützenden Neuropeptid exprimiert wird und ganz kleine regulatorische Sequenzen erhalten bleiben. Der ganze Rest des Virus ist entfernt. Und dieses Genom, diese DNA wird verpackt in ein Protein Capsid. Damit ist es gut geschützt und kann nach der Injektion den Weg in die Zelle und in den Zellkern finden, um dort diese DNA zu exprimieren.
Seltmann: Es handelt sich nicht mehr um das ganze Virus mit Hülle und Erbgut, sondern nur noch ein bisschen von dem Erbgut ist übrig. Und innen drin enthält es zusätzlich das Gen für das Neuropeptid Dynorphin?
Heilbronn: Eigentlich ausschließlich. Sämtliche Gene, die für das Virus nötig sind, sind rausgeschnitten. Es gibt nur noch ganz kleine Sequenzen, wie Steuersequenzen muss man sich das vorstellen. Also es gibt keine Gene mehr, die für zum Beispiel das Capsid kodieren oder die andere regulatorische Aktivitäten haben.
Seltmann: Und braucht man die Virushülle auch oder baut man die sich auch selbst?
Heilbronn: Das Virus Capsid wird gebraucht, um dieses Genom, dieses Erbgut zu verpacken. Viren vermehren sich in Zellen. Und dort brauchen sie alle Komponenten, damit diese Proteinhülle, dieses Capsid produziert werden kann. Und das macht man im Falle von AAV-Vektoren so, dass man diese Gene extern in diese Zellen einbringt, die für das Capsid kodieren. Die sind aber auf dem Genom, auf dem Vektor-Genom nicht mehr vorhanden. Das heißt, das Vektor-Genom wird verpackt, und das Genom selbst transportiert dann nur noch das therapeutisch wirksame Gen in die Zelle. Die Hülle dient zum Targeting.
Seltmann: Damit die richtigen Zellen gefunden werden?
Heilbronn: Die Hülle dient dazu, dass das Genom in die richtigen Zellen transportiert werden kann und wird anschließend abgebaut. Und das Genom selber wandert in den Zellkern, und dort kann Genexpression stattfinden. Die Virusvektoren können sich nicht selbstständig mehr vermehren.
Seltmann: Und das neue Erbgut, was man einschleust in die Nervenzellen, wird das in das Erbgut der Nervenzellen eingebaut oder bleibt das sozusagen nebendran liegen?
Heilbronn: Letzteres. Es ist so, dass das AAV-Genom, man sagt dazu episomal, im Zellkern verbleibt. Das bedeutet, es ist im Zellkern und kann dort auch exprimiert werden, aber es wird in der Regel nicht ins menschliche Genom eingebaut.
Seltmann: Und jetzt ist also dieses Gen für das Neuropeptid Dynorphin in der Nervenzelle drin. Und noch mal einen Schritt zurück. Sie haben gesagt injiziert. Wie kann man sich das vorstellen? Da geht der Neurochirurg mit einer langen Nadel von außen ins Gehirn? Oder wird das ins Blut gespritzt und die Viren finden schon irgendwie die Zellen, wo sie rein müssen? Wie kommt denn das Gen in die richtige, von Epilepsie betroffene Nervenzelle?
Heilbronn: Grundsätzlich sind natürlich beide Wege denkbar. Der präzise Weg ist es, genau in den epileptischen Fokus zu injizieren. Das macht der Neurochirurg mit einer hauchdünnen Nadel. Das muss man sich vielleicht vorstellen, wie wenn eine Elektrode im Hirn implantiert wird. Das ist ein minimalinvasiver Eingriff. Hat den großen Vorteil, dass wirklich nur an die Stelle, wo der Fokus ist, der Vektor injiziert wird und nirgendwo anders hin.
Seltmann: Gut, also dann wird das Gen vom Neurochirurgen ganz genau dahin platziert, wo es gebraucht wird. Und jetzt haben Sie gesagt, dann wird das dort im Zellkern exprimiert, also abgelesen, und dann auch in Eiweiß übersetzt, aber nicht sofort losgelassen, sondern nur bei Bedarf. Das heißt, nur, wenn da so ein Feuersturm kommt oder Gewitter, nennt man das ja auch bei Epilepsie. Wie kommt das, dass das Dynorphin so lange wartet, bis es gebraucht wird? Woher weiß es, wann es gebraucht wird?
Heilbronn: Bei den Neuropeptiden ist es so, dass sie produziert werden und sozusagen eine Adresse auf dem Protein oder auf dem Eiweißstoff vorhanden ist, der dem Dynorphin sagt: Geh bitte in bestimmte Vesikel. Diese Vesikel, das sind so kleine Bläschen in der Zelle, dort wird das gespeichert. In diesen gespeicherten Bläschen gibt es Enzyme, die das Dynorphin in kleine Bestandteile zerlegen. Und nur diese kleinen vollprozessierten Bestandteile sind das aktive Prinzip. Und in diesen Bläschen verbleibt das Dynorphin. Der Trigger für die Freisetzung, dass diese Bläschen aus der Zelle freigesetzt werden, der Trigger ist die hochfrequente Erregung. Und durch die hochfrequente Erregung wird das Dynorphin freigesetzt, kann an umliegende Rezeptoren, also Stellen binden, wo es andockt und dann die hohe Erregung dämpfen, sodass sie sich nicht weiter ausbreiten kann. Das ist ein natürlicher Mechanismus, den wir ausnutzen. Und es ist einfach so, dass bei der fokalen Epilepsie diese Speicher für Dynorphin entleert sind. Da ist nicht genügend da, sodass bei den vielen Erregungen, die kommen, eben immer genügend zur Dämpfung vorhanden ist. Und wenn wir die wieder auffüllen, indem wir mehr hinzugeben, haben wir die Chance, dass immer ausreichend Wasser zum Löschen da ist.
Seltmann: Das hört sich total spannend an und auch sehr, sehr vielversprechend. Haben Sie denn schon erste Vorexperimente, Vorversuche gemacht, die Ihnen sagen: Ja, das kann wirklich so auch funktionieren?
Heilbronn: Ja, selbstverständlich, das haben wir gemacht. Um so etwas Komplexes wie einen epileptischen Anfall zu behandeln, braucht man einen Organismus, um das zu untersuchen. Das heißt, wir haben Tierversuche gemacht mit Mäusen, die epileptisch sind, die genau die Form von Epilepsie haben, die es auch bei Menschen gibt, die Temporallappenepilepsie. Und in diesem Mausmodell konnten wir zeigen, dass durch Injektion des Vektors die Anfälle innerhalb von Wochen bis Monaten zurückgingen. Und wenn sie einmal verschwunden waren, blieben sie dauerhaft aus. Das sind Langzeiteffekte, die sehr vielversprechend sind.
Seltmann: Und jetzt fragt man sich natürlich: Gibt es schon erste Therapieversuche bei Menschen?
Heilbronn: So schnell geht das nicht. Wir wollen sichere Therapien beim Menschen. Und es ist im Grunde eine Medikamentenentwicklung, eine Wirkstoffentwicklung. Und Wirkstoffentwicklung hat einen sehr langen Entwicklungszeitraum, um sicherzustellen, dass der Wirkstoff tatsächlich nicht nur in der Maus, sondern eben auch beim Menschen wirkt, und um sicherzustellen, dass der Wirkstoff sicher ist. Und das sind Prozesse, die Monate und Jahre dauern, um dahin zu kommen. Wir sind so weit, dass wir unseren Vektor soweit validiert haben, dass wir jetzt die nächsten Schritte Richtung klinische Studie einleiten können. Aber auch das hat Monate gedauert, um über verschiedenste Varianten am Ende ein Vektorformat zu haben, von dem wir sagen können: Ja, das ist stabil, das funktioniert gut, damit können wir auch im größeren Maßstab die Vektoren herstellen.
Seltmann: Eben, Sie brauchen ja wahrscheinlich größere Mengen von diesen gentechnisch veränderten Viren als bei Mäusen, wenn sie tatsächlich an eine Behandlung von menschlichen Patienten denken?
Heilbronn: Richtig. Das ist auch ein typisches Problem, dass manche Sachen im kleinen Maßstab wunderbar produzierbar sind und funktionieren, und wenn man dann versucht, das Ganze in großem Maßstab zu machen, dann funktioniert es halt nicht mehr so gut. Und das sind die ersten Schritte, die wir eingeleitet haben. Und da sind wir auf sehr gutem Weg, sodass wir jetzt damit beginnen können, den Vektor und die größere Produktion auch zu validieren, zu sehen, ob das alles auch technisch erst mal gut funktioniert. Und dann muss man klären: Ist dieses Produkt ausreichend sicher? Und da werden dann noch weitere Tierstudien dafür notwendig, um zu zeigen, der Vektor ist sicher, der Vektor verbreitet sich nicht in Organe, wo wir ihn nicht haben wollen, beispielsweise, es gibt keine unerwarteten zusätzlichen Nebenwirkungen, die wir vielleicht am Anfang in der Maus gar nicht gesehen haben. All diese Untersuchungen müssen gemacht werden. Das sind aber grundsätzliche Untersuchungen, die man bei der Medikamentenentwicklung machen muss, bevor man daran denken kann, in erste klinische Studien zu gehen. Und auf dem Weg dahin gibt es immer wieder Kontakte mit den Behörden, die für die Regulation zuständig sind und die die Daten sich anschauen, um zu sehen, ist das jetzt alles wirklich sicher und gut dokumentiert, bevor man die nächsten Schritte einreichen kann.
Seltmann: Sie haben jetzt eine kleine Firma gegründet, die EpiBlok Therapeutics, um vermutlich diese klinischen Studien vorzubereiten? Oder weil man das an einem universitären oder Forschungsinstitut nicht so gut durchführen kann? Oder was war der Hintergrund?
Heilbronn: Der Hintergrund ist der, dass man bis zu einem gewissen Grad im akademischen Setting so eine Entwicklung machen kann, man spricht vom Proof of Concept, den man erbringen kann. Das geht bis zu einer gewissen Grenze, aber irgendwann ist es nicht möglich, mit Forschungsmitteln allein das Ganze umzusetzen. Es sind erhebliche Geldmittel dafür erforderlich. Und da muss man Investoren an Bord holen, die bereit sind, diese Entwicklung zu finanzieren. Man muss einfach sehen, dass das Ganze extrem riskant ist. Also, in einem so frühen Stadium muss man davon ausgehen, dass das Risiko, dass das Ganze irgendwo auf der Strecke scheitert, bevor es zugelassen wird, das liegt weit über 90 Prozent. Und dafür braucht man Risikokapitalgeber, die bereit sind, das zu machen. Und das wiederum geht nicht im universitären Setting. Nur eine Firma kann Risikokapital aufnehmen. Und das ist der Hintergrund, dass jetzt eben ein Spin-off von der Charité gegründet wurde.
Seltmann: Sie haben gesagt, das ist noch ein langer Weg. Können Sie einen ungefähren Zeithorizont angeben, wann Sie damit rechnen, dass der erste Patient in einer klinischen Studie mit dieser neuen Gentherapie behandelt werden kann?
Heilbronn: Das ist immer so ein bisschen Kaffeesatzleserei. Wenn alles super gut geht, also wenn es keine Rückschläge gibt, und die gibt es ja immer, da kommt immer irgendwas Unerwartetes, aber angenommen, es funktioniert alles sehr gut, dann kann man schon davon ausgehen, dass in was weiß ich zwei, drei Jahren oder drei, vier Jahren das möglich ist. Aber jedes unerwartete Ergebnis auf der Strecke dahin führt dazu, dass es zu einem Stopp der Untersuchung kommt und dass man noch mal etwas neu machen muss, besser machen muss. Das führt immer sofort zu einem Zeitverlust von vielen Monaten. Man muss sich auch vor Augen halten, dass die Tierexperimente, die wir machen, wahnsinnig lange dauern. Wir rechnen, wenn wir den Vektor injizieren, bis wir die Epilepsie gemessen haben, über mehrere Monate mindestens drei bis vier Monate. Und dann müssen aber die Hirne auch noch analysiert werden, um zu sehen: Wie ist jetzt die Verbreitung? Ist alles so wie gedacht, und ist alles sicher? Man muss einfach zirka sechs Monate rechnen. Und damit ist klar, wenn es an dieser Stelle ein Problem gibt, dann ist man gleich schon wieder ein halbes Jahr zurückgeworfen. Insofern sind da Prognosen schwierig.
Seltmann: Könnten Sie sich vorstellen, dass diese Therapie, falls sie funktioniert, was wir hoffen, auch bei anderen Formen der Epilepsie funktioniert? Oder spielt da das Dynorphin dann eher keine Rolle?
Heilbronn: Also bei anderen Formen von fokaler Epilepsie ist das denkbar. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass Dynorphin in verschiedenen Regionen des Gehirns unterschiedliche Wirkungen hat. Und das muss genau angeschaut werden, ob das unkritisch ist, es in eine andere Hirnregion als in den Hippocampus zu injizieren. Ein Großteil der Epilepsien sind Epilepsien, die das gesamte Gehirn betreffen. Häufig gibt es genetische Ursachen dafür. Für diese Form der Epilepsien ist unsere Therapie nicht geeignet. Das ist keine Therapie, die man im gesamten Gehirn anwendet, eben weil Dynorphin in verschiedenen Hirnregionen andere Funktionen hat und man es dabei nicht anwenden kann. Aber wie gesagt, andere Formen von fokaler Epilepsie sind sehr wohl denkbar.
Seltmann: Jetzt ist die Gentherapie bekannt aus einzelnen Anwendungen bei sehr seltenen Erbkrankheiten, wo man ein spezielles fehlendes Gen einbringt, oder auch aus neuen Therapien, CAR-T-Zell-Therapien für Krebspatienten. Alle diese Therapien sind wahnsinnig teuer. Wie soll das denn bei dieser Gentherapie aussehen?
Heilbronn: Das ist natürlich noch nicht komplett vorhersagbar. Aber es macht einen Unterschied, ob es sich um eine Therapie handelt für eine seltene genetische Erkrankung, wo es vielleicht weltweit nur 10 bis 100 Patienten gibt und schlussendlich die gesamten Entwicklungskosten, und die sind extrem, über die Behandlung dieser wenigen Patienten refinanziert werden muss. In unserem Fall ist es so, wir entwickeln eine Therapie für eine sehr, sehr häufige Erkrankung, und insofern kann man davon ausgehen, dass da mit anderen Preismodellen gearbeitet wird. Schlussendlich ist es aber in Deutschland natürlich so, dass die Erstattungen für Therapien mit den Krankenkassen und Kostenträgern verhandelt werden. Insofern ist das jetzt schwer vorhersagbar.
Seltmann: Eine Frage noch zur EpiBlok Therapeutics GmbH: Sie hatten gesagt, da muss man dann auch Geldgeber und Risikokapitalgeber finden. Das heißt, Sie haben schon Menschen gefunden, die vertrauen darauf, dass die Epilepsie-Therapie eines Tages auf den Markt kommt?
Heilbronn: Wir sind intensiv auf der Suche. Wir haben auch sehr gute Gespräche und fortgeschrittene Gespräche mit verschiedenen Investoren, die bereit sind, da etwas dazuzugeben. Es ist so, dass wir auch ganz, ganz häufig von Patienten angesprochen werden, die dringend darauf warten, dass die Therapie in die Klinik kommt, und uns fragen, wann wir so weit sind. Und auch von der Seite hat es schon Spenden gegeben. Und jeder Tropfen hilft, um das voranzubringen.
Seltmann: Ja, vielen Dank. Dann wünschen wir Ihnen viel Erfolg mit der Gentherapie und hoffen, dass wir bald über den ersten Patienten berichten dürfen.
Heilbronn: Ja, sehr gerne, das hoffen wir auch.
Seltmann: Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Professorin Regine Heilbronn erklärte, wie man mit einer Gentherapie Epilepsiekranken helfen könnte. Sie können das Interview auch noch einmal nachlesen auf www.bihealth.org. Falls auch Sie eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, richten Sie sie gerne an podcast@bih-charite.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal, sagt Stefanie Seltmann.