Aus Forschung wird Gesundheit

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BIH_Podcast_7_Warum brauchen wir die Digitalisierung in der Medizin?

Professor Heyo K. Kroemer

Herzlich willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann, ich bin Pressesprecherin im BIH. Heute bin ich zu Gast bei Professor Heyo Kroemer, dem Vorstandsvorsitzenden der Charité. Bei seinem Dienstantritt hat unter anderem die Digitalisierung als eine der großen Herausforderungen in der Medizin genannt. Herr Kroemer, warum brauchen wir die Digitalisierung in der Medizin?

Die Medizin und auch die akademische Medizin steht in den nächsten Jahren vor ganz zentralen Herausforderungen. Ich nenne nur den demographischen Wandel in unserer Bevölkerung, der dazu führen wird, dass wir deutlich mehr Patienten bekommen werden und weniger Menschen haben, die die Leistungen an diesen Patienten erbringen werden. Wenn wir diese Herausforderungen meistern wollen, müssen wir die Abläufe, die Datenerfassung in der universitären Medizin sehr weitgehend digitalisieren. Wir helfen dabei allerdings nicht nur der Krankenversorgung, sondern werden durch diese Digitalisierung auch ganz wesentliche Vorschritte im Bereich der Forschung erreichen, auf die wir gleich noch eingehen werden.

Die Digitalisierung in der Medizin ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nicht sehr weit vorangeschritten. Worin sehen Sie da die Gründe?

Das hat zum Teil strukturelle Gründe. Es sind von Seiten der Gesetzgebung und den Rahmenbedingungen nicht die notwendigen Voraussetzungen geschaffen worden. Ich nenne als Beispiel die Summen oder die Anteile am Umsatz von Universitätsklinika, die in Informationstechnologie gesteckt werden oder dafür verwendet werden. Das ist in der Bundesrepublik etwa zwischen 1,5 und 1,8 Prozent, während vergleichbare US-amerikanische Einrichtungen bei 7 bis 8 Prozent ihrer Umsätze liegen. Das heißt, wir investieren nicht ausreichend in Digitalisierung. Das wiederum hat zu tun mit den Finanzierungsrahmenbedingungen durch Fallpauschalen, die entsprechende Finanzierungsmodalitäten auch nicht vorsehen.

Viele Universitätskliniken schreiben rote Zahlen, die Charité eine schwarze Null. Es wäre ja sozusagen gar nicht möglich, 7 bis 8 Prozent in die Informationstechnologie zu stecken. Oder wo sehen Sie da Ressourcen?

Na, es wäre unter Umständen schon möglich, man müsste sich nur darüber verständigen, an welchen anderen Stellen dann entsprechend Gelder eingespart würden. Da insgesamt die Finanzierungsmodalitäten im Bereich der klinischen Leistungserbringung aber sehr knapp sind, würde meines Erachtens eine solche Finanzierung der Informationstechnologie nur über zusätzliche Quellen möglich sein.

Digitalisierung geht oft einher mit dem Begriff von Big Data, also für große Datenmengen. Dafür gibt es drei Quellen: erstens die Forschungsdaten aus der Sequenzierung, aus den Omics-Technologien aus Kohortenstudien, zweitens die privaten Daten, die jeder am Handgelenk erfasst, wenn er eine Smart Watch trägt, und drittens die Daten, die jeden Tag im Krankenhaus in großer Menge anfallen, die aber ungenutzt bleiben. Können Sie uns für diese ungenutzten Daten mal ein Beispiel nennen?

In jeder Klinik und insbesondere in den Universitätskliniken finden serienweise Routineuntersuchungen statt, in denen große Datenmengen über Patienten letztendlich gesammelt werden. Wenn Sie Krankheitsverläufe über eine längere Zeit haben, haben Sie eine sehr intensive Datenbegleitung auch über den gesamten Krankheitsverlauf. Diese Daten aus der Routineversorgung werden in der Bundesrepublik bisher kaum oder fast gar nicht systematisch genutzt, obwohl sie einen erheblichen Informationsschatz darstellen würden. Und da ist es etwa ein dezidiertes Ziel der laufenden Medizininformatikinitiative des BMBF, diese Form von Daten in Zukunft systematisch nützen zu können.

Wenn man die nutzt, welchen Effekt könnte das haben? Haben Sie da mal ein Beispiel?

Na, es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, solche Daten zu nutzen. Man könnte zum einen auf Vorhersagen von Krankheitsverläufen eingehen. Dies halte ich für besonders relevant beim Auftreten seltener Erkrankungen. Wenn Sie sich etwa für sich selber vorstellen, dass sie selber oder ihr Kind eine seltene Erkrankung hat, von denen nur sechs oder sieben andere Patientinnen oder Patienten in Deutschland betroffen sind, ist es derzeit fast unmöglich, systematisch an diese Informationen zu kommen. Wenn wir ein durchgehend digitalisiertes Gesundheitssystemen hätten, wäre das deutlich besser. Es gibt auch sehr einfache Untersuchungen, ziemlich hochrangig publiziert aus den USA, wo man an einem eigenen Datensatz aus der Vanderbilt Universität in Nashville zeigen konnte, dass die routinemäßige Verwendung von Chlorhexidin auf Intensivstationen zur Desinfektion, die man historisch seit vielen Jahrzehnten machte, medizinisch vollkommen sinnlos ist und keinerlei Vorteil brachte. Und solche Informationen konnte man rein basierend auf Routinedaten gewinnen.

Gerade wurde bekannt, dass weltweit Millionen von Patientendaten völlig ungeschützt im Internet verfügbar sind bzw. waren. Könnten Sie das für die Charité völlig ausschließen, dass das auch hier passieren könnte?

Es handelt sich bei den Sachen, soweit man sie in der Presse verfolgen konnte, um radiologische Daten, die aus sogenannten PAX-Systemen auf ungeschützten Servern gelegen haben. Es ist nicht genau beschrieben worden, wie das passieren konnte. Solche ungeschützten Informationssysteme gibt es an der Charité nicht.

Die Digitalisierung spielt in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Automobilindustrie, schon eine große Rolle auch in Deutschland. Könnte man von diesen Positivbeispielen auch etwas lernen?

Davon bin ich fest überzeugt, dass es Beispiele von Digitalisierung und damit verbundener künstliche Intelligenz gibt, die im praktischen Leben eine sehr große Rolle spielen. Ein eindrückliches Beispiel ist für mich, dass bestimmte Autositze mittlerweile so konfiguriert sind, dass bei längeren Fahrten Druckstellen des Fahrers vermieden werden dadurch, dass der Sitz sich immer wieder individuell anpasst. So etwas erschiene mir etwa im Bereich von Krankenhausbetten zur Vermeidung von Dekubitus-Problemen eine sehr sinnvolle Sache, die man einfach und schnell einsetzen könnte.

Die Bundesregierung hat das Problem erkannt und die Medizininformatikinitiative ins Leben gerufen. Worum geht es da?

Bei der Medizininformatikinitiative ging es darum, dass sich jeweils mehrere deutsche Universitätskliniken zusammengeschlossen haben, um gemeinsam ihre informationstechnologische Entwicklung insbesondere im Forschungsbereich miteinander abzustimmen und ein System zu erzeugen, innerhalb dessen dann zwischen den Universitätskliniken Informationen austauschbar sind. Die Charité ist an dem HiGHmed-Konsortium beteiligt, das ursprünglich von Göttingen, Hannover und Heidelberg ausging und dem mittlerweile eine ganze Reihe von Universitätsklinika beigetreten sind. Hier wird in mehreren Use Cases untersucht, inwieweit eine effektive Verbesserung der Behandlung von Patienten durch eine institutionsübergreifende Datenverwendung erreicht werden kann. Ein Beispiel ist die Verbesserung in der Reaktion auf Infektionsausbrüche in den beteiligten Unikliniken.

Lässt sich damit der Rückstand zu den anderen Ländern in der Digitalisierung der Medizin aufholen?

Ich denke, dass das ein wesentlicher Schritt ist, mit dem man diesen Rückstand ein bisschen aufholen kann. Insgesamt bedarf es aber eines entschlossenen Vorgehens von Seiten der Forschungsförderer wie in diesem Fall also von Seiten des BMBF, aber auch von Seiten der anderen Beteiligten wie des Bundesministeriums für Gesundheit und generell der Gesetz- und der Ressourcengeber.

Wie wird sich die Medizin durch die Digitalisierung verändern? Werden zum Beispiel die Daten von Handgelenk, die ja auch Sie, wie ich sehe, erheben, besser genutzt werden und einfließen in das Gesamtsystem der Gesundheitsversorgung?

Ich glaube, dass es, wenn wir die sich demographisch wandelnde Bevölkerung weiter erfolgreich medizinisch versorgen wollen, gar keinen anderen Weg gibt, als das System wirklich konsequent zu digitalisieren. Dabei werden alle Typen von Daten, die Sie vorhin genannt hatten, eine ganz wesentlich Rolle spielen, unter anderem auch die durch Wearables erhobenen peripheren Daten, die ja letztendlich ermöglichen, Patienten in ihrer Häuslichkeit für 24 Stunden zu begleiten und bei bestimmten Änderungen oder bestimmten Alarmsignalen dann relativ schnell zu intervenieren. Davon würde ich mir erhoffen, dass die Anzahl von Krankenhausaufenthalten auf den Bereich reduziert werden kann, wo er wirklich notwendig ist. Und insoweit halte ich die Verwendung solcher Daten für unbedingt notwendig. Was mir wichtig ist: dass man mit dem Begriff der Digitalisierung eine bestimmte Vorstellung verbinden sollte, wozu das Ganze eigentlich gut ist, also eine entsprechende Geschichte dazu entwerfen sollte. Und die Geschichte muss meines Erachtens so lauten, dass die Digitalisierung nicht dazu dient, Arbeitsplätze abzubauen, sondern dafür Sorge zu tragen, dass sich in der Universitätsklinik der Zukunft wieder mehr Menschen direkt um Patienten kümmern können, weil man erfolgreich weite Teile administrativer Tätigkeiten digitalisiert hat.

Ist das auch die neue Rolle des Arztes, dass er vielleicht etwas entlastet wird von der ganzen bürokratischen Arbeit, für die er ja eigentlich gar nicht ausgebildet ist und zu der er ja auch meistens auch gar nicht so eine große Lust hat?

Ich würde mir wünschen, dass sich das nicht auf die ärztlichen Kollegen beschränkt, sondern auch eine deutliche Entlastung der administrativen Routinetätigkeiten im Pflegebereich bedeutet. Auf der anderen Seite muss man sich darüber im Klaren sein, dass solche künstlichen Intelligenz- und Entscheidungsfindungssysteme schon das zukünftige Arztbild durchaus beeinflussen können, weil letztendlich die Algorithmen, die zu der Entscheidungsfindung führen, ja mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von Kollegen geschrieben und entwickelt werden, die nicht bedingt Ärzte sind. Das heißt, innerhalb des Gesamtsystems können sich die Beiträge und Anteile schon nicht unerheblich verschieben.

Die vielen Daten, die durch die Digitalisierung anfallen, die aber auch ausgenutzt werden können, spielen ja nicht nur für die unmittelbare Versorgung von Patienten eine Rolle, sondern auch für die medizinische Forschung. Also wenn jetzt zum Beispiel alle Deutschen so eine Uhr tragen würden und man diese Daten auswerten könnte, könnten sich ja auch für die Forschung ganz neue Möglichkeiten ergeben. Inwieweit wird die Nutzung dieser Daten für die Forschung gleichzeitig durch den in Deutschland sehr streng geschriebenen Datenschutz begrenzt?

Ich halte den Datenschutz in Deutschland, wenn man ihn langfristig vernünftig lebt, eher für einen Vorteil im internationalen System. Eine völlig freie Datennutzung, wie wir sie bisher in den USA sehen, wird, glaube ich langfristig nicht von Vorteil sein. Selbstverständlich muss man Hemmnisse und Hindernisse, die es bisher gibt, in einem moderaten und vernünftigen Maß abbauen. Wenn man das tut und letztendlich Informationen für die Forschung zu Verfügung stellen kann in etwa anonymisierter Form, dann werden am Ende des Tages Patienten sehr massiv davon profitieren, aber auch Forschung sehr massiv davon profitieren. Es ist ja bekannt, dass ich es außerordentlich interessant finde, wenn hier innerhalb von Berlin die Charité mit Vivantes gemeinsam arbeitet. Wenn Sie sich vorstellen würden, dass in 42 Prozent der stationären Betten, die gemeinsam von Vivantes und der Charité ja bewirtschaftet werden und in der Summe bewirtschaftet werden, dass man über diesen ganzen Versorgungsraum letztendlich Daten hinsichtlich der medizinischen Versorgung hätte, würde hier für die Forschung ein ziemlich einmaliges Feld entstehen.

Wo sehen Sie denn die größten Chancen der Digitalisierung in der Medizin? Wer der vielen Player im Gesundheitssystem wird am meisten profitieren?

Profitieren sollten unbedingt am Ende die Patienten im Sinne einer besseren und spezifischeren Behandlung. Ich glaube aber, dass das Gesamtsystem ohne Digitalisierung überhaupt nicht überlebensfähig sein wird. Wir werden uns das nicht leisten können, das Gesundheitssystem nicht zu digitalisieren. Und letztendlich werden alle Bereiche, die tragend sind für eine universitäre Medizin, nämlich die Krankenversorgung, die ich schon erwähnt hatte, aber auch die Forschung und auch die Lehre und Ausbildung ganz massiv von Digitalisierung profitieren.

Vielen Dank, Herr Prof. Kroemer.

Sehr gern.

Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health. Professor Heyo Kroemer erklärte, warum die Digitalisierung in der Medizin eine wichtige Rolle spielen wird und heute schon spielt. Falls auch Sie eine Frage zu Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an podcast@bihealth.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal sagt Stefanie Seltmann.